Die letzten Wochen waren durch die militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten und eine Intensivierung der russischen Angriffe auf die Ukraine gekennzeichnet. Zeitgleich fand eine Reihe schon länger geplanter politischer Gipfeltreffen statt (G7-Gipfel in Kanada, NATO-Gipfel in Den Haag, Europäischer Rat), denen es jedoch nicht gelang, einen strukturierten diplomatischen Prozess in Gang zu setzen. Dabei wäre eine koordinierte politische Initiative die Voraussetzung, um sich über die Elemente einer regionalen Sicherheitsarchitektur zu verständigen, die allen Beteiligten und Betroffenen eine friedliche Entwicklungsperspektive bietet.
Dies gilt insbesondere für den Nahen Osten, wird mittel- und langfristig aber auch in der Ukraine und Osteuropa zu beachten sein. Alleine die Einigung auf das NATO-Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von 5% der Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten sticht heraus. Auch hier handelt es sich aber in erster Linie um eine Reaktion der Europäer auf die erpresserischen Forderungen Donald Trumps. Eine eigene deutsch-französische oder europäische Handschrift, was mit diesem Ziel erreicht werden soll, fehlt bisher. Weder wurde ausbuchstabiert, wie beispielsweise ein eigener „europäischer Pfeiler“ im Rahmen der NATO aussehen soll, noch, ob und welche Unabhängigkeit der Europäer in Verteidigungsfragen von den USA mit diesen Investitionen erreicht werden soll.
Auch die Aktionen einzelner europäischer Staaten – etwa der Versuch Frankreichs, gemeinsam mit Saudi-Arabien im Rahmen der UNO eine Palästina-Konferenz durchzuführen – scheiterten angesichts der militärischen Eskalation. Der Versuch der „E3-Außenminister“ (Großbritannien, Frankreich und Deutschland), zusammen mit der Außenbeauftragten der EU nach Beginn der israelischen Angriffe auf den Iran den Gesprächsfaden mit dem iranischen Außenminister wieder aufzunehmen, war ohne amerikanische Unterstützung und angesichts der jahrelangen Intransigenz Teherans sowie der Entschlossenheit Benjamin Netanjahus zum Scheitern verurteilt. Gerade in der Haltung zur gegenwärtigen israelischen Politik sind es dabei auch innereuropäische Unterschiede, die die Einflussmöglichkeiten der Europäer begrenzen. Dabei steht Deutschland zunehmend allein mit seiner Position gegenüber Israel.
Trotz aller fieberhaften Bemühungen auf diplomatischer Ebene drängt sich also der Eindruck auf, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten derzeit keine internationale Führungsrolle wahrnehmen können, und allenfalls um Schadensbegrenzung bemüht sind. Der russische Neoimperialismus, der Aufstieg Chinas und eine amerikanische Außenpolitik, die unter Donald Trump die Welt in Einflusszonen aufteilt[1] stehen dem europäischen Modell einer regelbasierten Welt- und Handelsordnung, die dem friedlichen Interessenausgleich dient und dazu auf das Wirken internationaler Institutionen setzt, entgegen.
[1] Thierry de Montbrial, IP 30.06.25, https://internationalepolitik.de/de/deutsch-franzoesische-diagnosen)
Stefan Seidendorf
Stv. Direktor, z. Zt. Geschäftsführer
Daneben sind es aber auch innereuropäische Unterschiede, insbesondere beim Umgang mit Donald Trump oder im Hinblick auf den Import vermutlich hoch subventionierter chinesischer Elektrofahrzeuge in die EU und das Vorgehen der EU-Kommission dagegen, die die Position der EU als Ganzes schwächen. Diese Unterschiede wären überwindbar, wenn es gelänge, sich auf ein gemeinsames, übergeordnetes EU-Interesse zu verständigen, das es allen Beteiligten erlaubt, andere Anliegen zurückzustellen. Genau dies scheint aber zunehmend Schwierigkeiten zu bereiten. Es rächt sich, dass man seit dem Vertrag von Lissabon kaum europäische Politiken entwickelt hat, die die EU als Ganzes konsolidieren und stärker integrieren (z.B. im Energie- und Verteidigungsbereich) und der Union damit Instrumente zur Verfügung stellt, um nach außen erfolgreich zu verhandeln und nach innen den europäischen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber durch greifbaren politischen Output das grundsätzliche Bekenntnis zur EU zu erleichtern
In der gegenwärtigen Lage ist es gar nicht so sehr der fehlende politische Wille, gemeinsam deutsch-französisch die Entwicklung der EU voranzutreiben – seit dem Regierungswechsel in Berlin und den ersten Kontakten in Paris hat sich eine positive Dynamik eingestellt. Allerdings ist der Spielraum für deutsch-französische und europäische Kompromisse durch die innenpolitische Situation in beiden Ländern erschwert. Die fortwährende (Frankreich) oder auch drohende (Deutschland) politische Instabilität wirkt sich auf die außen- und europapolitische Gestaltungskraft aus. Bei aller Dramatik auf der Weltbühne ist es deshalb wichtig, die innenpolitischen Entwicklungen in beiden Ländern zu betrachten.
Frankreich: Politische Instabilität
An den prekären Mehrheitsverhältnissen hat sich seit der Neuwahl infolge der Parlamentsauflösung im Juli 2024 nichts geändert. Premierminister François Bayrou wird im Parlament durch einen immer brüchiger werdenden „gemeinsamen Sockel“ (socle commun) gestützt. Die den Präsidenten unterstützenden Parteien (Renaissance, Modem, Horizons) und die konservativen Les Républicains (LR) verfügen über keine eigene Mehrheit und bemühen sich je nach Lage um eine Tolerierung durch weitere gemäßigte linke oder rechtskonservative Gruppen.
Bayrou hat auf eine Wiederbelebung des Dialogs der Sozialpartner gesetzt, um Kompromisse angesichts der schwierigen Mehrheitsbildung im Parlament vorzustrukturieren und Konfliktpotential aus dem Parlament auszulagern. Um zu vermeiden, dass die gemäßigten Sozialisten einem Misstrauensantrag der anderen Oppositionsparteien gegen die Regierung zustimmen (was die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2025 verhindert hätte), hatte der Premierminister Anfang 2025 zugesagt, erneut über die Rentenreform von 2023 zu verhandeln. Die Regierung beauftrage die Sozialpartner damit in einem „Konklave“ (offiziell „délégation paritaire permanente“) Kompromissmöglichkeiten auszuloten. Bayrou hatte sich zugleich bereiterklärt, die Vorschläge der Sozialpartner ins Parlament einzubringen, um so eine (erneute) Abstimmung über die Rentenreform zu ermöglichen. Mitte Juni erklärten die verbliebenen Verhandlungsparteien – zwei Gewerkschaften und ein Unternehmerverband waren zuvor bereits ausgestiegen – allerdings das Scheitern der Gespräche.
Dies nahmen die Sozialisten zum Anlass, ihr „Stillhalteabkommen“ mit Premierminister Bayrou aufzukündigen und einen Misstrauensantrag gegen ihn einzubringen, der zwar von den anderen linken und grünen Partien unterstützt wurde, nicht aber von der extremen Rechten Marine Le Pens (RN), und der deshalb keine Mehrheit fand. Dies verschafft Premier Bayrou zunächst etwas Luft. Doch ähnlich wie vor ihm Michel Barnier ist auch er nun auf das Wohlwollen der Rechtsaußen-Fraktion angewiesen. Die Öffnung zu den gemäßigten Sozialdemokraten, mit der sich Bayrou zwischenzeitlich aus der Abhängigkeit vom RN lösen konnte, ist schon wieder Geschichte und die Positionen der politischen Lager verhärten sich mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2027. Dies gilt auch für die an der Regierung beteiligten Konservativen (Teile der Républicains, LR), nachdem Innenminister Bruno Retailleau mit klarer Mehrheit zum Parteichef gewählt wurde und sich mit einem harten Anti-Einwanderungskurs profiliert. Seine Popularität bestärkt die Partei darin, rote Linien zu definieren, die unvereinbar mit linken Positionen sind. Die auf Ausgleich und Kompromisse zielende Methode des Zentrumspolitikers Bayrou stößt damit bereits nach wenigen Monaten an ihre Grenzen[2].
Am 8. Juli lief auch die einjährige Frist ab, die der Präsident nach einer Auflösung des Parlaments respektieren muss, bevor er erneut zu Artikel 12 der Verfassung greifen kann. Macron kann nun damit drohen, das Parlament erneut aufzulösen. Das wäre insbesondere für den Rassemblement national ungünstig, dessen Fraktionschefin und Abgeordnete Marine Le Pen aufgrund einer Verurteilung und dem Verlust des passiven Wahlrechts nicht erneut als Kandidatin antreten kann. Ihr Einfluss auf die Politik, die eigene Partei und die Fraktion würden weiter abnehmen.
[2] S. auch: Françoise Fressoz: « Conclave » sur les retraites : « L’échec de la méthode Bayrou renvoie le pays à ses fragilités », Le Monde vom 1. Juli 2025
Macrons Rentenreform
Mit der Rentenreform 2023 war beschlossen worden, schrittweise (bis 2032) die für den Bezug einer abschlagsfreien Rente erforderlichen Beitragsjahre auf 43 und das gesetzliche Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen. Wer nicht lange genug in die Rentenkassen eingezahlt hat, bekommt einen Abschlag von 0,625 % pro Quartal. Ab 67 können Arbeitnehmer ohne Abzüge in Rente gehen, auch wenn sie die 43 Beitragsjahre bis dahin nicht erreicht haben. Es gibt weiterhin Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen. Gleichwohl sind auch sie zumindest in Teilen von der Reform betroffen – sowohl was den (früheren) Renteneintritt als auch die Berechnung der Rentenhöhe anbelangt.
Hinter den politischen Schwierigkeiten, im Parlament eine Regierungsmehrheit zu finden, stehen auch handfeste Haushaltsprobleme. Um die EU-Vorgaben einzuhalten und Geldgeber nicht zu verprellen, will die Regierung 2026 40 Milliarden Euro einsparen – bei einem Defizit von 139 Milliarden und einem Haushaltsvolumen von 445 Milliarden Euro. Neben Einsparungen wird ein weiterer Abbau des Defizits unweigerlich auch strukturelle Reformen benötigen.

Doch sogar ein frisch gewählter und mit großer Mehrheit ausgestatteter Präsident Macron konnte 2017 nur unter Anstrengungen Teile seiner ambitionierten Reformagenda (u.a. Arbeitsrecht, Arbeitslosenversicherung, SNCF, Rentenreform) umsetzen. Nun steht er vor dem Ende seiner Amtszeit und hat keine eigene Mehrheit im Parlament. Dazu kommt eine zu allem entschlossene, auf Konfrontation setzende Opposition der Linken und eine rechtsextreme Bewegung, deren scheinbar unaufhaltsame Dynamik immer offensichtlicher Beifall bei Teilen der bürgerlichen Rechten findet.
Auch wenn die französische Verfassung gerade in einer solchen Lage dem Präsidenten weitreichende Befugnisse zugesteht, wird es Emmanuel Macron schwer haben, sein Ziel eines politisch handlungsfähigeren Europas zu erreichen. Ohne einen proaktiven deutschen Partner, der sich auf die Besonderheiten der französischen Lage einlässt und gleichzeitig in einem weit umfangreicheren Maße als in den letzten zwanzig Jahren politische Verantwortung für die Weiterentwicklung der EU als Ganzes übernimmt, wird es jedenfalls nicht gehen. Und scheitert der deutsch-französische Interessenausgleich, scheitert auch Europa.
Deutschland: Neue Spielräume für Investitionen?
Nach der Bundestagswahl hat die politische Mitte noch mit den Mehrheiten des alten Bundestages neue Spielräume für Investitionen geschaffen (s. Kasten).[3]
Durch die Lockerung der Schuldenbremse sollen in den kommenden zehn Jahren zusätzliche Mittel für die Landesverteidigung in Höhe von rund 400 Milliarden mobilisiert werden, es wären aber auch Ausgaben in deutlich größerem Umfang möglich, was angesichts der steigenden NATO-Zielvorgaben durchaus der Fall sein kann. Daneben soll das schwächelnde Wirtschaftsmodell durch Investitionen in die öffentliche Infrastruktur in der Breite (Schulen, Brücken, Digitalisierung uvm.) gestärkt werden. Für 2025 sind zusätzliche Investitionen außerhalb des Kernhaushaltes in der Höhe von 37 Milliarden Euro vorgesehen[4] – ähnlich viel wie man in Frankreich für 2026 an Einsparungen im Haushalt anstrebt. Für die Jahre 2026-2029 sieht die Finanzplanung zusätzliche Investitionen in der Höhe von im Schnitt 58 Milliarden Euro vor.[5]
[3] Siehe vertiefend zu den nachfolgenden Ausführungen auch: Eileen Keller (2025) : La politique économique et budgétaire allemande face au changement d’époque. In: Allemagne Aujourd’hui Nr. 252, S.77-88.
[4] Einschließlich KTF und durch die Länder verausgabte Mittel, zusätzlich zu den Investitionen aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr, welches 2027 ausläuft; https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/sondervermoegen-2356240,
[5] BMF, Eckwerte der Finanzplanung, 24. Juni 2025, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2025/06/2025-06-24-2-entwurf-bhh-2025-eckwerte-bis-2029.html
Die doppelte Investitionsinitiative von März 2025
1) Reform der Schuldenbremse (Art. 109 und 115 GG)
- Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent der Wirtschaftsleistung werden von der Anrechnung ausgenommen. Diese schließen Ausgaben u.a. für Cybersicherheit, den Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienste und bspw. die Ukraine-Hilfen mit ein.
- das Verschuldungsverbot der Bundesländer wird gelockert. Möglich ist nun, wie auf Bundesebene, eine Nettokreditaufnahme von 0,35 Prozent des jährlichen BIP (Normallage)
- eine (weitere) Modernisierung der Schuldenbremse, die „dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes ermöglicht“ (Koalitionsvertrag, S. 50-51) wird noch vor Jahresende angestrebt
2) Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) (Art. 143h GG)
500 Milliarden Euro kreditfinanziert, die Investitionen können in einer Laufzeit von 12 Jahren bewilligt werden. Ein Fünftel der Summe geht direkt an Länder und Kommunen, ein Fünftel der Summe ist Klimainvestitionen über den Klima- und Transformationsfonds (KTF) vorbehalten. Die Verwendung der Mittel wurde an eine Investitionsquote von zehn Prozent im Kernhaushalt geknüpft, um das Risiko der Auslagerung investiver Ausgaben zu verhindern.
Schätzungen gehen davon aus, dass die Staatsverschuldung durch die beschlossenen Maßnahmen auf gut 80% des BIP (optimistisches Szenario) bzw. auf bis zu 90% des BIP (pessimistisches Szenario) ansteigen könnte, das gesamtstaatliche Defizit würde sich zwischen 2026 und 2037 auf Werte zwischen 3,3 und 3,4% belaufen, die Zins-Steuerquote bis 2037 auf 17% verdoppeln.[6]
Die Reichweite der beschlossenen Maßnahmen ist bemerkenswert. Einerseits zeigt sich darin, dass die Grenzen der Politik der vergangenen Jahre durchaus erkannt wurden. Auch eine Mehrheit der Bevölkerung hält es für richtig, mehr Geld für die genannten Vorhaben aufzubringen, auch schuldenfinanziert.[7] Anderseits verbleiben durchaus Zweifel an der Zielgenauigkeit der beschlossenen Maßnahmen und damit verbunden eine gewisse Skepsis, ob es tatsächlich gelingt, den erhofften wachstumsstimulierenden Multiplikationseffekt zu realisieren. Die in der Vergangenheit angeführten Argumente für die Schuldenbremse sind nicht aus der Welt (übermäßige Beschneidung der Gestaltungsspielräume künftiger Generationen, mangelnde investive Prioritätensetzung im Kernhaushalt, Verlust der Rolle Deutschlands als Stabilitäts- und Vertrauensanker in Europa, schwerfällige Verfahren, die die Verausgabung beschlossener Mittel erschweren) sind nicht aus der Welt, obwohl vor allem im Hinblick auf die Verteidigungsfähigkeit Konsens hinsichtlich eines nicht aus dem regulären Haushalt zu deckenden Investitionsbedarfs besteht.
[6] S. Tobias Hentze et al.: Ökonomische Restriktionen für die Umsetzung des Finanzpakets. IW Policy-Paper Nr. 6 vom 22. März 2025, https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/policy_papers/PDF/2025/IW-Policy-Paper_2025-Umsetzung-Finanzpaket.pdf
[7]ARD-DeutschlandTREND März. Repräsentative Studie im Auftrag der ARD
Den intensiven Austausch, den der neue Bundeskanzler und viele seiner Regierungsmitglieder insbesondere mit Frankreich, aber auch mit weiteren europäischen Partnern und nicht zuletzt mit der EU gesucht haben, verdeutlicht den politischen Willen zu einer proaktiven Europapolitik und der Übernahme von Verantwortung hierfür. Die deutschen Investitionen zur Stärkung der eigenen Verteidigungs- und Wettbewerbsfähigkeit müssen in eine glaubhafte europäische Strategie eingebettet sein, will man bei den Partnern nicht den Eindruck erwecken, dass es letztlich doch vor allem um nationale Interessenpolitik geht, zumal Deutschland damit die europäischen Fiskalregeln verletzen dürfte.[8]
Der Koalitionsvertrag verdeutlicht, dass die Regierungskoalition trotz fortbestehenden Divergenzen eine veränderte Grundhaltung in der Europapolitik anstrebt und fordert, die Entwicklung einer umfassenden strategischen Souveränität.
„Angesichts des geopolitischen Epochenbruchs muss Europa umfassende strategische Souveränität entwickeln. Schlüsseltechnologien, Energiesicherheit, digitale Souveränität inklusive europäischer Plattformen, Schutz kritischer Infrastrukturen, Resilienz sowie eigene Fähigkeiten, um sich im globalen Systemwettbewerb zu behaupten, sind dafür zentral. Wir setzen uns für eine Europäische Verteidigungsunion zur Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO ein. Wir wollen einen echten Binnenmarkt für Verteidigungsgüter mit gemeinsamen Exportregeln und enger Zusammenarbeit bei Planung, Entwicklung und Beschaffung…“.[9]
Dieser ambitionierten Agenda müssen nun Taten folgen. Um innenpolitisch Zustimmung zu den damit verbundenen Veränderungen zu gewinnen, ist entschiedene politische Führung nötig, die Klarheit und Orientierung in der öffentlichen Debatte schafft und die Alternativen benennt. Die neue Regierung muss sich deshalb nun rasch zusammenfinden, um insbesondere auch der Kritik aus den eigenen Reihen („Manifest“ der SPD-Linken gegen Aufrüstung; Streit um die Stromsteuer; Wahl neuer Verfassungsrichter) wirkungsvoll entgegen zu treten, bevor sie die neue Exekutive schwächt. Denn ähnlich wie in Frankreich ist auch die Situation im neuen Bundestag durch die gewachsene Rolle einer europafeindlichen und europaskeptischen Opposition gekennzeichnet, die zu allem entschlossen ist und durch ihre Fundamentalopposition den europapolitischen Handlungsspielraum der Regierung innenpolitisch begrenzen kann, wenn es nicht gelingt, mit guten Argumenten und klaren Angeboten die Bürger zu überzeugen. Mit 151 Abgeordneten (von insgesamt 630, 24%) ist die rechtsextreme AfD die größte Oppositionspartei und dabei deutlich größer als etwa die Regierungsfraktion der SPD (120 Abgeordnete) oder die Oppositionsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen (85 Abgeordnete).
[8] Armin Steinbach: Will EU fiscal rules prevent Germany from using its new national borrowing space? Bruegel Newsletter, 28. April 2025, https://www.bruegel.org/newsletter/will-eu-fiscal-rules-prevent-germany-using-its-new-national-borrowing-space
[9] „Verantwortung für Deutschland“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 21. Legislaturperiode, S. 137 f. https://www.cdu.de/app/uploads/2025/04/KoaV-2025-Gesamt-final-0424.pdf
Fazit
Die pro-europäischen und auf deutsch-französische Initiativen setzenden Bekenntnisse von Präsident und Bundeskanzler sind angesichts der Lage sehr begrüßenswert. Sie haben bereits jetzt eine wichtige Dynamik eingeläutet, die sich auch an anderen Stellen zeigt. Die meisten Minister haben sich bereits bilateral getroffen und neben persönlicher Kontaktaufnahme auch die Entwicklung gemeinsamer Agenden angestoßen. Auch die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung ist nach den Neuwahlen in beiden Ländern wieder konstituiert und handlungsfähig.
Diese neu gefundene Dynamik alleine wird nicht ausreichen. Ein weitreichender deutsch-französischer Vorschlag ist nötig, dem es gelingt, die Vorstellungen der wichtigsten Partner einzubeziehen, um die weitere Vertiefung der EU in den jetzt entscheidenden Politikbereichen zu ermöglichen, falls nötig auch über eine (weiter) abgestufte Integration oder ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten. Die Zeit, die dafür bleibt, ist knapp – insbesondere mit Blick auf (innenpolitisch) neu zu formulierende Glaubenssätze. In Deutschland wird man der Frage nach gemeinsamen Finanzinstrumenten und ihrer Hebelwirkung für die EU als Ganzes nicht dauerhaft ausweichen können. Ebenso wenig in Frankreich unbequemen Fragen zur nationalen Souveränität, der eigenen Rolle in einer erweiterten EU und den zu realisierenden fiskalischen Anstrengungen. Der für Ende August geplante Deutsch-Französische Ministerrat wäre ein guter Moment, um mit gemeinsamen Vorschlägen Europa auch international wieder ins Spiel zu bringen.





