Europawahlen 2019

Wahlbeteitligung von 50 % eine positive Überraschung

  • Kurzanalysen und Vergleiche der Programme der verschiedenenen Listen bei den Europawahlen 2019
  • Kurzanalyse des Ergebnisses der Europawahlen

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| Politik

Nach der Europawahl

Stefan Seidendorf
Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.)

2019 , ISSN: 2131193-6

Im Vorfeld der Europawahl führte das dfi vom 5.bis 11. Mai eineJournalistenreise nach Berlin und Paris durch.

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Programmvergleiche und Kurzanalysen

10. April 2019

10. April 2019: Programme der gemäßigten französischen Linken bei den Europawahlen 2019

Ausgangssituation: Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 haben die französischen Grünen Europe Écologie Les Verts (EELV) auf einen eigenen Kandidaten verzichtet und den der Parti socialiste (PS) unterstützt, um die Erfolgs­aussichten der gemäßigten französischen Linken zu verbessern. Nach den Niederlagen bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 hat Benoît Hamon, Kandidat der PS, seine Partei verlassen und die Bewegung Génération.s (G·s) mit dem Ziel gegründet, parteiübergreifend die französische Linke bis zu den Europawahlen 2019 zu sammeln.

Mit ihrem Vorhaben, auf nationaler Ebene gemeinsam mit anderen linken Parteien eine Liste für die Europawahlen aufzustellen, ist G·s allerdings gescheitert. Auch der Versuch von Vertretern der Zivilgesellschaft, die sich unter dem Namen Place publique zusammengeschlossen haben, um die pro-europäische französische Linke zu einen, war erfolglos. Lediglich die PS und die PS-Abspaltung Nouvelle Donne waren zum Bündnis mit Place publique bereit und treten nun gemeinsam mit der Plattform unter dem Namen Envie d’Europe (deutsch: Lust auf Europa) an. EELV und G·s bewerben sich mit eigenen Listen und so machen sich beim Wahlgang Ende Mai drei Gruppie­rungen mit sehr ähnlichen Wahlprogrammen gegenseitig Konkurrenz.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Alle drei, besonders aber EELV, stellen den Kampf gegen den Klimawan­del und für eine ökologische Wende in den Vordergrund. Sie fordern übereinstimmend, über den Zeitraum von fünf Jahren 500 Mrd. € in klimafreundliche Maßnahmen wie Energieeffizienz, erneuerbare Energien oder nachhaltige Landwirtschaft und Mobilität zu investieren. Den Ausstieg aus der Nutzung von fossilen Energie­trägern und der Atomenergie strebt EELV für den Zeitraum zwischen 2030 und 2050 an, G·s gibt als Zieldatum 2050 an. In den „Vorschlägen für Europa“ der Parti socialiste (PS), die auch für Envie d’Europe gelten, findet sich dazu keine kon­krete Aussage, sondern nur das Vorhaben einen „Airbus der Energie“ aufzubauen, in dem die gro­ßen europäischen Energiekonzerne ihre Kompetenzen für eine bessere Nutzung nachhaltiger Energieträger verei­nen sollen.

Über die gemeinsame Agrarpolitik wollen alle drei in Zukunft eine nachhaltige und kleinräumige Landwirtschaft fördern. Übereinstimmung besteht auch darin, den Gebrauch von Pestiziden einzuschränken, wobei EELV hier am konkretesten wird und eine Quote von 30 % bis 2025 und mittelfristig 100 % für den Bio-Landbau durchsetzen möchte und parallel dazu den Einsatz von Pestiziden und gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirt­schaft verbieten will.

Envie d’Europe und G·s sprechen sich beide dafür aus, die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Verteidi­gung und der Terrorismusbekämpfung zu intensivieren. Im Bereich der Zuwanderungspolitik sind sie dafür, das Abkommen von Dublin auszusetzen und eine europäische Asylagentur einzurichten, die den Umgang und die Ver­teilung von Asylanten und die Bearbeitung von Asylverfahren nach übereinstimmenden Regeln für alle EU-Mitglieder regelt. Das Programm von EELV bleibt zu diesen beiden Punkten vage.

In ihren weitgehenden sozialpolitischen Vorstellungen, die Benoît Hamon bereits im Wahlkampf 2017 vertreten hat, unterscheiden sich die Selbstverpflichtungen von G·s von den Programmen von EELV und Envie d’Europe. So wird von G·s u.a. die Besteuerung von großen Vermögen, ein Grundlohn für alle und eine 35-Stunden-Woche – jeweils in ganz Europa – gefordert. Alle 16 – 25jährigen Europäer sollen zudem durch das Programm „Erasmus für alle“ die Möglichkeit bekommen, sich einen einjährigen Bildungsaufenthalt in einem anderen Land der EU mit 850 € monatlich fördern zu lassen.

Um die Maßnahmen für ein sozial gerechteres Europa, eine nachhaltige Landwirtschaft und den Klimaschutz zu finanzieren, soll die EU eigene Mittel erhalten und ihr Budget erhöht werden, laut EELV von 1 % auf 5 % des BIP. Dafür soll übereinstimmend eine Finanztransaktionssteuer geschaffen werden, Steueroasen innerhalb der EU sol­len verschwinden. Die CO2-Steuer, die der Auslöser für die Gelbwestenproteste war, wird ebenfalls als Möglichkeit zur Gewinnung zusätzlicher Finanzen genannt, wobei EELV ausdrücklich betont, dass diese Maßnahme nicht zu Lasten der Privathaushalte gehen soll. EELV und G·s treten für einen „grünen Protektionismus“ ein: Waren, die unter Missachtung von in der EU geltenden Sozial- und Umweltstandards produziert wurden, sollen bei der Einfuhr in die EU mit einer Steuer belegt werden, die den durch Niedriglöhne und eine umweltbelastende Produktion erzielten Preisvorteil ausgleicht. EELV und die PS regen an, staatliche Investitionen für eine bessere Umwelt zu fördern, indem sie bei der Berechnung des jeweiligen Defizits nicht mehr berücksichtigt werden.

Aussichten: Bei den Europawahlen 2014 hat die PS einen Stimmenanteil von 14 %, EELV von 9 % erreicht, was zusammen19 Sitzen entsprach. Laut einer am 7. April 2019 veröffentlichten Umfrage kommt Envie d’Europe am 26. Mai auf 5,5 % der abgegebenen Stimmen, EELV auf 8 % und G·s auf 3,5 %, Envie d’Europe wäre demnach voraussichtlich mit 4 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten, EELV mit 6, G·s wegen der bei den Europawahlen in Frankreich geltenden Fünf-Prozent-Hürde mit keinem. Gemeinsam kämen die drei Gruppierungen vermutlich auf 13 - 14 Sitze.

17. April 2019

17. April 2019: Programme der gemäßigten französischen Rechten bei den Europawahlen 2019

Ausgangssituation: Um sicherzustellen, dass die gemäßigte Rechte mit möglichst vielen Abgeordneten in der Assemblée nationale vertreten ist, haben Les Républicains (LR) bei den Parlamentswahlen 2017 eine Wahlverein­barung mit der Zentrumspartei Union des démocrates et indépendants (UDI) getroffen. Nach der Wahl Emmanuel Macrons bestand innerhalb der Républicains Uneinigkeit darüber, ob man mit dem neuen Präsidenten und seiner Partei La République en Marche (LREM) kooperieren solle, durchgesetzt hat sich letztlich der Flügel von LR, der sich für eine eindeutige Opposition aussprach. Unter Führung des seit Dezember 2017 amtierenden Vorsitzenden Laurent Wauquiez hat die Partei einen nationalkonservativen Kurs eingeschlagen, prominente Politiker, die gemä­ßigte Positionen vertreten, wie z.B. der frühere Premierminister Alain Juppé, haben die Partei deshalb verlassen. Als Spitzenkandidat für die Europawahlen haben LR den Philosophielehrer und stellvertretenden Bürgermeister von Versailles, François-Xavier Bellamy (*1985) bestimmt, der sich zu einem traditionellen Katholizismus bekennt und sich, da es kein „europäisches Volk“ gebe, gegen eine vereinigte europäische Demokratie und für eine euro­päische Allianz der Demokratien ausspricht.

Die UDI ist wegen der programmatischen Entwicklung von LR keine neue Allianz mit ihnen eingegangen und zieht, da ihr Listenpartner der Europawahlen 2012 Mouvement démocrate (MoDem) eine gemeinsame Liste mit LREM gebildet hat, ausschließlich mit eigenen Kandidaten in den Wahlkampf.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Am Anfang des Programms von LR steht die Forderung Europas Grenzen zu schützen und illegale Einwanderung zu bekämpfen. Dazu sollen, so lange die europäischen Außengrenzen nicht effizient geschützt werden können, Kontrollen an den Staatsgrenzen wieder eingeführt werden. Das Budget für den Schutz der EU-Grenzen soll verdreifacht werden, um aus der Luft und zu Wasser eine illegale Zuwanderung über das Mittelmeer verhindern zu können; die zusätzlichen Mittel sollen über höhere Gebühren für Visa und Auf­enthaltsgenehmigungen eingenommen werden. Boote mit Migranten, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, sollen zurück an die afrikanische Küste gebracht werden, um auf diese Weise das Geschäft der Menschen­schmuggler zu beenden. Asylanträge für EU-Länder sollen in neu einzurichtenden Zentren im Nahen Osten und am südlichen Mittelmeerufer gestellt und bearbeitet werden; diese Forderung wird auch von der UDI erhoben. Um sich vor islamistischem Terrorismus zu schützen, fordern LR u.a. Geldzahlungen von außerhalb der EU an muslimi­sche Organisationen strikt zu kontrollieren und, falls damit extremistische Bestrebungen unterstützt werden, sie zu unterbinden. Eine Erweiterung der EU, z.B. um weitere Balkanstaaten, lehnen LR strikt ab, die Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt sollten nach ihrem Willen sofort beendet werden.

Ein wichtiges Thema ist für die LR die „Europäische Zivilisation“ bzw. das Bewahren der jüdisch-christ­lichen Wur­zeln Europas, seines griechisch-romanischen Erbes und der Errungenschaften der Aufklärung. Dazu soll u.a. eine europäische Wertecharta verabschiedet und in Straß­burg ein Museum der europäischen Geschichte und Zivilisation eingerichtet werden, das Filialen in allen EU-Hauptstädten unterhalten soll.

Wie EELV und G·s treten LR für einen „grünen Protektionismus“ ein: Waren, die unter Missachtung von in der EU geltenden Sozial- und Umweltstandards produziert wurden, sollen bei der Einfuhr in die EU mit einer Steuer belegt werden, die die durch Niedriglöhne und eine umweltbelastende Produktion erzielten Preisvorteile ausgleicht. Das so eingenommene Geld soll dem europäischen Etat für Forschung und Innovation zu Gute kommen. Der CO2-Ausstoß der EU-Länder soll bis 2050 auf null reduziert werden, der künftige Umgang mit der Atomenergie wird dabei von LR nicht erwähnt, dafür aber verlangt, keine höheren Energiesteuern für Haushalte und Unternehmen zu erheben. Die UDI tritt für eine parallele Nutzung von erneuerbaren Energieträgern und der Atomenergie ein.

Die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern wollen beide Parteien dahingehend ändern, dass für ent­sandte Arbeitskräfte Sozialabgaben in dem Land bezahlt werden, in dem sie tätig sind. LR möchten weitere Groß­unternehmen wie Airbus zulassen und so Konzerne schaffen, die z.B. im Energie-, Umwelt oder Verteidigungssek­tor führend und weltweit konkurrenzfähig sind. Gegen Entscheidungen der EU-Kommission, die dies verhindern, sollen die Staaten Widerspruch einlegen und die Kommission ggf. überstimmen können. Übereinstimmung besteht zwi­schen beiden Programmen auch in der Forderung, im Bereich der Verteidigung enger zusammenzuarbeiten und europäische Verteidigungsmittel aus europäischer Produktion zu beschaffen und zu vereinheitlichen. Für ein „ef­fizientes Europa“ fordern LR gegen die Verschwendung öffentlicher Gelder innerhalb der EU-Institutionen vorzu­gehen, die „Norminflation“ zu stoppen und überflüssige EU-Normen abzuschaffen.

Aussichten: Bei den Europawahlen 2014 hat die UDI gemeinsam mit dem MoDem einen Stimmenanteil von 10 %, LR (damals noch als UMP) von 21 % erreicht, was zusammen 27 Sitzen entsprach. Laut einer am 7. April 2019 veröffentlichten Umfrage kommen LR am 26. Mai auf 13 % der abgegebenen Stimmen, die UDI auf 2 %, LR wären demnach voraussichtlich mit 11 – 13 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten, die UDI wegen der bei den Euro­pawahlen in Frankreich geltenden Fünf-Prozent-Hürde mit keinem.

25. April 2019

25. April 2019: Programme der Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums bei den Europawahlen 2019

Ausgangssituation

Nach ihrer Niederlage im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 hat Marine Le Pen ihre Partei programmatisch neu ausgerichtet und dabei die Forderung nach einem französischen Austritt aus dem Euro, die sie im Wahlkampf vertreten hatte, aufgegeben. Als Zeichen seiner Neuorientierung hat sich der Front National (FN) im Juni 2018 in Rassemblement National (RN) umbenannt. Spit­zenkandidat des RN bei den Europawahlen ist der 23jährige Jordan Bardella, der als Nachfahre italienischer Ein­wanderer in einem sozialen Brennpunktviertel von Saint-Denis aufgewachsen ist.

Wegen seiner parteiinternen Entmachtung und der Aufgabe der von ihm vertretenen europäischen Ziele hat Le Pens langjähriger enger Berater Florian Philippot den FN im September 2017 verlassen und tritt bei den Europa­wahlen mit der von ihm gegründeten Partei Les Patriotes an. Als weiterer Konkurrent am rechten Rand bewirbt sich die Partei Debout la France (DLF) für den Einzug ins Europaparlament. Ihr Vorsitzender Nicolas Dupont-Aignan war im Falle einer Präsidentschaft Marine Le Pens als deren Premierminister vorgesehen, hat sich aber nach der Wahl 2017 auf Druck seiner Anhänger wieder vom RN distanziert.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Der RN schlägt eine neue institutionelle Organisation der EU und deren Umwandlung in eine „Europäische Allianz der Nationen“ vor. Dabei soll der Rat der Europäischen Union die allei­nige Richtlinienkompetenz erhalten, der EU-Kommission sollen wegen ihrer angeblich fehlenden demokrati­schen Legimita­tion parallel dazu jegliche Möglichkeiten für eigene Initiativen und Entscheidungskompetenzen ent­zogen werden, sie soll künftig als Generalsekretariat des Rats fungieren. Im Rahmen der Allianz sollen die EU-Mitgliedsstaaten ihre verlorene Souveränität wiedererlangen und als unabhängige Staaten frei von Vorgaben zu­sammenarbeiten. Urteile des Europäischen Gerichtshofs oder des Europäischen Gerichts­hofs für Menschenrechte sollen für natio­nale Gerichte nicht mehr bindend sein.

Ähnlich wie Les Républicains (LR) beruft sich der RN auf eine gemeinsame europäische Geschichte sowie zivilisa­torische Werte, die allen Europäern gemeinsam seien. Sein Programm weist in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass Imperien, die nationale Gegebenheiten ignoriert hätten, immer gescheitert seien, weshalb die EU die National­staaten nicht ersetzen dürfe. Anders als DLF und LR, die beide eine EU-Integration weiterer Balkan-Staaten ablehnen, weist RN nur die Aufnahme der Türkei in die EU zurück und fordert zugleich, den „kalten Krieg“ mit Russland zu beenden und die bestehenden Embargos aufzuheben. Neben einem kooperativen Schutz der EU-Außengrenzen fordert die Partei innereuropäische Grenzkontrollen wieder einzuführen. Um Einwanderer abzu­schrecken sollen nur die Staatsbürger eines Landes Sozialleistungen erhalten und das Anrecht auf Asyl stark eingeschränkt werden. Außerdem soll die legale Einwanderung gestoppt, Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmi­gung sollen systematisch abgeschoben werden. Um der Bedrohung durch islamistischen Terrorismus entgegen zu treten, spricht sich RN für eine intensive innereuropäische Zusammenarbeit von Polizei und Justiz aus, islamisti­sche Ausländer sollen ausgewiesen, Moscheen, in denen radikales Gedankengut vermittelt wird, geschlossen wer­den.

Um den Bedürfnissen der wirtschaftlich schwächeren Staaten innerhalb der Eurozone gerecht zu werden, müsse die Geldschöpfung den wirtschaftlichen Bedürfnissen angepasst und den einzelnen Staaten erlaubt werden, mehr Schulden bei ihren nationalen Zentralbanken aufzunehmen. Die europäische Zen­tral­bank soll sich außerdem im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit engagieren. EU-Staaten sollen im Sinne eines „ökono­mi­schen Patriotismus“ in­ländische Firmen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen bevorzugen dürfen. Die Richt­linie über die Entsen­dung von Arbeitnehmern soll ausgesetzt; Firmen, die darauf verzichten, Arbeit ins Ausland zu verlagern und dafür inländische Arbeitskräfte beschäftigen, sollen belohnt werden. Um gegen weite Transport­wege und Billigimporte vorzugehen, fordert RN Freihandelsabkommen zu kündigen, Einfuhren von außerhalb der EU zu besteuern und im Gegenzug kurze, nachhaltige Wirtschaftskreisläufe innerhalb der EU steu­erlich zu entlas­ten. Eine Harmonisierung der Sozialstandards innerhalb der EU wird im RN-Programm abgelehnt, da sie zu Lasten der Franzosen gehen würde. Eine Einführung von Steuern, die direkt der EU zukommen, wie sie Emmanuel Macron vorgeschlagen hat, wird zurückgewiesen und zugleich verlangt, die Steuern für die Franzosen und die französischen Zuwendungen an die EU zu senken. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU soll aufgegeben werden, gemäß den Vorstellungen des RN soll Frankreich seine eigenen Bedürfnisse künftig über die inländische Produk­tion decken und französische Agrar­produkte mit eigenem Qualitätssigel exportieren.
Das Programm von DLF unterscheidet sich nur in Details von dem des RN, Les Patriotes treten als einzige der drei Parteien für einen kompletten Rückzug Frankreichs aus der EU ein.

Aussichten: Bei den Europawahlen 2014 hat der RN einen Stimmenanteil von 25 % erreicht, was 24 Sitzen ent­sprach. DLF blieben mit 4 % unter der 5-%-Hürde, Les Patriotes sind 2014 nicht angetreten. Laut einer am 24. April 2019 veröffentlichten Umfrage kommt der RN am 26. Mai auf 22,5 % der abgegebenen Stimmen, DLF auf 5 %, Les Patriotes auf 1 %.

7. Mai 2019

7. Mai 2019: Programme der Parteien am linken Rand des politischen Spektrums bei den Europawahlen 2019

Ausgangssituation: Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2017 erreichte Jean-Luc Mélenchon als Kandidat der Bewegung La France insoumise (dt.: das unbeugsame Frankreich) knapp 20 % der Stimmen und damit 13 % mehr als der von Europe Écologie Les Verts (EELV) und der Parti socialiste (PS) unterstützte Benoît Hamon. Angespornt von diesem Erfolg versucht Mélenchon seitdem La France insoumise (FI) in Frankreich als einzige relevante Kraft des linken politischen Spektrums zu etablieren und wies mehrfach Kooperationsangebote anderer Grup­pierungen zurück. Bei den Europawahlen tritt FI folglich mit einer eigenen Liste an, ihre Spitzen­kan­di­datin ist die frühere Sprecherin der Nichtregierungsorganisation Oxfam France, Manon Aubry (*1989).

Die Parti communiste français (PCF), die 2012 und 2017 zur Wahl Mélenchons als Präsidenten aufgerufen hatte, wollte zu den von FI vorgegebenen Bedingungen nicht länger mit dieser Bewegung zusammenarbeiten und hat für die Europawahlen eigene Kandidaten aufgestellt, an erster Stelle steht Ian Brossat (*1980), der in Paris als stell­vertretender Bürgermeister für Wohnungsfragen zuständig ist.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Das Programm der PCF ist nicht sehr umfangreich und besteht aus recht vage formulierten Vorschlä­gen, die fast alle auch im wesentlich detaillierteren Programm der FI erscheinen. Im Folgenden werden des­halb die Vorschläge der letzteren Gruppierung behandelt.

Wie schon in den Wahlkämpfen von 2017 tritt FI für eine Änderung der europäischen Verträge ein, da diese die Grundursache für eine vom Kapitalismus dominierte EU seien. Bei der Neuverhandlung der Verträge sollen eine Harmonisierung der sozialen und steuerlichen Rahmenbedingungen innerhalb der EU erreicht und ein ökologischer und solidarischer Protektionismus sowie eine Umverteilungspolitik eingeführt werden. Die europäi­sche Zentral­bank (EZB) soll in Zukunft Beschäftigung und ökologischen Wandel fördern und die Möglichkeit erhal­ten, Schulden von EU-Mitgliedsländern aufzukaufen. Gleichzeitig soll es ihr verboten werden, Mitgliedsländern die Liquidität zu entziehen. Ähnlich wie der Rassemblement National (RN) vertritt FI die Position, dass die EU-Kommission und die EZB zu viel Macht haben und sie missbrauche, um Druck auf die nationalen Regierungen auszuüben, z.B. indem sie sie zwänge, Strukturreformen umzusetzen, um EU-Gelder ausbezahlt zu bekommen. Deshalb sollen nationale Parlamente die Möglichkeit erhalten, europäische Gesetzestexte zu blockieren.

Erweiterungen der EU um weitere Mitgliedsländer dürften nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass das Sozial-, Umwelt- und Finanzrecht dieser Länder mit den in der EU geltenden Bestimmungen harmonisiert werden, an­dernfalls führe eine EU-Erweiterung nur zur Ausweitung des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes und des Sozial­dumpings. Um die Situation der Arbeitnehmer zu verbessern, soll die Richtlinie über die Entsendung von Arbeit­nehmern ab­geschafft und in jedem EU-Land ein Mindestlohn eingeführt werden, der 75 % des dortigen Durch­schnittslohns ent­spricht. Außerdem soll europaweit die maximal erlaubte Arbeitszeit pro Woche gesenkt und ein Maximallohn ein­geführt werden: Der Bestverdienende soll nur 20mal so viel verdienen dürfen wie derjenige, der am schlechtesten ver­dient. Jeder 16 – 25jährige Europäer soll das Anrecht auf eine Förderung bekommen, die ihm erlaubt, ein Jahr lang in einem anderen europäischen Land zu studieren, zu arbeiten oder sich fortzubilden.

Um die Abwanderung aus ärmeren Ländern in die EU zu reduzieren, sollen die Fluchtursachen vor Ort bekämpft und dafür auch Handelsabkommen mit Entwicklungsländern gekündigt werden, die zur Folge haben, dass dort Arbeits­plätze abgebaut werden und die landwirtschaftliche Produktion zurückgeht. Eine zivile europäische Ein­greiftruppe soll künftig dafür sorgen, dass auf dem Weg nach Europa keine Flüchtlinge mehr im Mittelmeer ertrin­ken, gleich­zeitig sollen die europäischen Außengrenzen nicht mit immer mehr Mitteln zu militärischen Befesti­gungsanlagen ausge­baut werden. Ab­kommen mit nichtdemokratischen Staaten wie der Türkei und Libyen, die auf ihrem Territorium Flüchtlinge am Weiterzug in EU-Länder hindern, sollen aufgekündigt, parallel dazu europaweit gemeinsame Regeln zur Gewäh­rung von Asyl eingeführt werden. Für eine würdige Betreuung von Asylanten sollen EU-Mittel eingesetzt werden. Ein EU-Programm soll Flüchtlinge dabei unterstützen, in ihre Heimatländer zurück­zukehren, sofern die Situation dort als sicher eingestuft werden kann.

Die FI-Vorschläge für eine verbesserte Nachhaltigkeit decken sich in vielen Punkten mit denen von EELV: U.a. soll bis 2050 der Ausstoß von Treibhausgasen auf eine Menge reduziert werden, die das Ökosystem auffangen kann, bis 2030 sollen 45 % der Energiebedürfnisse aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Europaweit soll die Atomenergie aufgegeben und eine CO2- und Kerosin-Steuer eingeführt werden. Die Privatisierung von öffentlichen Dienstleis­tungen, die für die Energieversorgung oder die Verkehrsinf­rastruktur (Staudämme, Bahn usw.) notwen­dig sind, müsse gestoppt werden. Die gemeinsame Agrarpolitik soll eine quali­tativ hochwertige Ernäh­rung zum Ziel haben und eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft för­dern.

Aussichten: Unter dem Namen Front de gauche haben beide Parteien gemeinsam bei den Europawahlen 2014 in Frankreich einen Stimmenanteil von 6,6 % und damit 4 Abgeordnetenmandate erzielt. Drei Anfang Mai veröffent­lichte Umfragen prognostizieren für FI am 26. Mai einen Stimmenanteil zwischen 8 % und 9,5 %, für die PCF einen Anteil zwischen 2,5 % und 3,5 %.

14. Mai 2019

14. Mai 2019: Programm der Liste Renaissance bei den Europawahlen 2019

Ausgangssituation: Die 2016 von Emmanuel Macrons gegründete Partei La République en Marche (LREM) tritt zum ersten Mal bei einer Europawahl an. Mit Kandidaten der Zentrumsparteien Mouvement démocrate (MoDem), Mouvement radical, social et libéral (MRSL) und Agir, la droite constructive bewerben sich ihre Vertreter auf einer gemeinsamen Liste mit dem Namen Renaissance. Im EU-Parlament möchten die über diese Liste gewählten Ab­geordneten gemeinsam mit Vertretern anderer Parteien, die bisher der liberalen ALDE-Fraktion angehören, eine neue Fraktion bilden, die mit ca. 100 Mandaten rechnen kann.

Spitzenkandidatin der Liste Renaissance ist die frühere Direktorin der École nationale d’administration (ENA, dt. Nationale Hochschule für Verwaltung) Nathalie Loiseau, die von Juni 2017 bis März 2019 Ministerin für europäi­sche Angelegenheiten im Kabinett des Premierministers Edouard Philippe war. An zweiter Stelle steht Pascal Can­fin, der aufgrund seiner Vergangenheit als Direktor der französi­schen Abteilung des WWF-France und ehemali­ger Europaabgeordneter der französischen Grünen ein ausgewiesener Befürworter eines ökologischen Wan­dels ist. Emmanuel Macron hat ihn mit der Zusicherung, dass dieser bei Renaissance im Mittelpunkt stehen werde, davon überzeugt, für die Liste zu kandidieren und sich nicht einer anderen Gruppierung mit einem ausgeprägten Umwelt­pro­gramm anzuschließen. Als letzte der großen französischen Parteien hat Renaissance ihr Programm am 9. Mai 2019, dem Europatag, präsentiert.

  • Klimaschutz und nach­haltige Entwick­lung: Entsprechend dem Stabilitätspakt soll ein europäischer Nachhal­tigkeitspakt geschlos­sen wer­den, der die Mitgliedsstaaten der EU dazu verpflichtet, die ökologischen Schulden zu reduzieren und nicht kom­menden Generationen zu hinterlassen. Um erneuerbare Energien und saubere Trans­portmittel zu entwickeln, Ge­bäude zu sanieren und damit verbundene Veränderungen in der Arbeitswelt zu finan­zieren, sind nach Meinung von Renaissance bis 2024 Ausgaben von mindestens 1.000 Mrd. € nötig. Das Pro­gramm schlägt vor, eine „Klimabank“ zu grün­den, die die Ersparnisse der Europäer für „grünes Wachstum“ einset­zen soll, und 40 % der EU-Ausgaben für den ökologischen Wandel zu verwenden. Wie von fast allen anderen fran­zösischen Parteien wird gefordert, alle Produkte, die in die EU eingeführt werden, gemäß dem CO2-Ausstoß, der bei ihrer Produktion und ihrem Transport entstanden ist, zu besteuern. Der Flugverkehr soll mit Abgaben belegt und der Verkauf von Diesel- und Benzinau­tos bis 2040 verboten werden. Parallel dazu soll der Zugang zu sauberen Transportmitteln vereinfacht und bezahl­bar werden. Bis 2050 sollen europaweit alle Kraft­werke, die mit fossilen Energien betrieben werden, geschlossen werden. Die Atomenergie wird im Programm von Renaissance nicht er­wähnt.
  • Agrarpolitik: In der Landwirtschaft soll die Verwendung von Pestiziden bis 2025 halbiert und die des Düngemittels Glyphosat bis 2021 verboten werden. Die Agrarsubventionen sollen vorzugsweise kleineren Betrieben und nach­haltigen Produktionsarten, die auch das Wohl der Nutztiere respektieren, zu Gute kommen. Die Größe der Flächen, die nach Bio-Kriterien bewirtschaftet werden, soll verdoppelt werden.
  • Wirtschafts- und Sozialpolitik: Digitalunternehmen sollen in der EU wie in Frankreich be­steuert werden, damit kleinere und mittlere Unternehmen nicht länger gegenüber den GAFAM be­nachteiligt werden, außerdem sollen die Unternehmenssteuern innerhalb der EU harmonisiert werden. In jedem EU-Land soll ein Mindestlohn einge­führt werden, der dem dortigen Lohnni­veau entspricht, um den unlauteren Wettbewerb einzuschränken. Die Ent­senderichtlinie soll in der Weise überarbeitet werden, dass für gleiche Arbeit gleicher Lohn und gleiche Arbeits­kosten anfallen und die Sozialbeiträge dem je­weils höheren Niveau angepasst werden. Mit Unterstützung der Europäischen Arbeitsagentur soll der Kampf gegen die Umgehung dieser Vorgaben intensi­viert werden. Um die Entstehung europäischer Champions zu ermöglichen, wird verlangt, die Konkurrenzpolitik neu zu regeln. Künftig soll es nicht mehr möglich sein, Fusionen wie die der Zugsparten von Siemens und Alstom zu verbieten. Über einen Plan „Made in Europe 2024“ sollen Großunternehmen in strate­gisch wichtigen Sektoren (u.a. erneuer­bare Ener­gien und Künstliche Intelligenz) und kleinere und mittlere Unter­nehmen finanziell unterstützt wer­den. Mit Ländern, die das Klimaabkommen von Paris nicht respektieren, sollen keine Freihandelsabkommen ge­schlossen werden.
  • Eurozone: Für die Eurozone strebt Renaissance ein eigenes Budget an, das dazu dienen soll, Investitionen zu finanzieren, wirtschaftliche Unterschiede auszugleichen und Krisen abzufedern.
  • Grenzschutz und Umgang mit Asylanten: Um die EU-Außengrenzen zu schützen, sollen die Missionen von Frontex ausgeweitet und die Zahl ihrer Beamten auf 10.000 erhöht werden. Die Asylkriterien in den EU-Mitgliedsstaaten sollen vereinheitlicht werden, die Arbeit der nationalen Asylagenturen in Zukunft ein europä­i­sches Büro für Asyl koordinieren. Ein Land, das für seine eigenen Bürger den freien Zugang zum Schengen-Raum fordert, muss sich an einer gemeinsamen Asylpolitik beteiligen, andern­falls wird es mit Sanktionen belegt.

Aussichten: Drei Anfang Mai veröffentlichte Umfragen prognostizieren für Renaissance am 26. Mai einen Stim­menanteil von 22 %, damit liegt die Liste gleichauf bzw. bis zu 2 % hinter der des Rassemblement National.

17. Mai 2019

17. Mai 2019: Kurzbeschreibungen der Listen der verschiedenen politischen Blöcke bei den Europawahlen 2019 in Frankreich

Renaissance, Liste der Zentrumsparteien

La République en Marche (LREM), Mouvement démocrate (MoDem), Mouvement radi­cal, social et libéral (MRSL) und Agir, la droite constructive

Die 2016 von Emmanuel Macrons gegründete Partei La République en Marche (LREM) tritt zum ersten Mal bei einer Europawahl an. Mit Kandidaten der Zentrumsparteien Mouvement démocrate (MoDem), Mouvement radical, social et libéral (MRSL) und Agir, la droite constructive bewerben sich ihre Vertreter auf einer gemeinsamen Liste mit dem Namen Renaissance. Im EU-Parlament möchten die über diese Liste gewählten Ab­geordneten gemeinsam mit Vertretern anderer Parteien, die bisher der liberalen ALDE-Fraktion angehören, eine neue Fraktion bilden, die mit ca. 100 Mandaten rechnen kann.

Spitzenkandidatin der Liste Renaissance ist die frühere Direktorin der École nationale d’administration (ENA, dt. Nationale Hochschule für Verwaltung) Nathalie Loiseau, die von Juni 2017 bis März 2019 Ministerin für europäi­sche Angelegenheiten im Kabinett des Premierministers Edouard Philippe war. An zweiter Stelle steht Pascal Can­fin, der aufgrund seiner Vergangenheit als Direktor der französi­schen Abteilung des WWF-France und ehemali­ger Europaabgeordneter der französischen Grünen ein ausgewiesener Befürworter eines ökologischen Wan­dels ist. Emmanuel Macron hat ihn mit der Zusicherung, dass dieser bei Renaissance im Mittelpunkt stehen werde, davon überzeugt, für die Liste zu kandidieren und sich nicht einer anderen Gruppierung mit einem ausgeprägten Umwelt­pro­gramm anzuschließen. Als letzte der großen französischen Parteien hat Renaissance ihr Programm am 9. Mai 2019, dem Europatag, präsentiert.

Aussichten: Eine am 14. Mai 2019 veröffentlichte Umfrage prognostiziert für Renaissance am 26. Mai einen Stim­menanteil von 23,5 %, damit liegt die Liste 1,5 % vor der des Rassemblement National.

Listen der gemäßigten Rechten

Um sicherzustellen, dass die gemäßigte Rechte mit möglichst vielen Abgeordneten in der Assemblée nationale vertreten ist, haben Les Républicains (LR) bei den Parlamentswahlen 2017 eine Wahlverein­barung mit der Zen­trums­partei Union des démocrates et indépendants (UDI) getroffen. Nach der Wahl Emmanuel Macrons bestand innerhalb der Républicains Uneinigkeit darüber, ob man mit dem neuen Präsidenten und seiner Partei La Républi­que en Marche (LREM) kooperieren solle, durchgesetzt hat sich letztlich der Flügel von LR, der sich für eine ein­deutige Opposition aussprach. Unter Führung des seit Dezember 2017 amtierenden Vorsitzenden Laurent Wau­quiez hat die Partei einen nationalkonservativen Kurs eingeschlagen, prominente Politiker, die gemä­ßigte Positio­nen vertreten, wie z.B. der frühere Premierminister Alain Juppé, haben die Partei deshalb verlassen. Als Spitzen­kandidat für die Europawahlen haben LR den Philosophielehrer und stellvertretenden Bürgermeister von Versailles, François-Xavier Bellamy (*1985) bestimmt, der sich zu einem traditionellen Katholizismus bekennt und sich, da es kein „europäisches Volk“ gebe, gegen eine vereinigte europäische Demokratie und für eine euro­päische Allianz der Demokratien ausspricht.
Die UDI ist wegen der programmatischen Entwicklung von LR keine neue Allianz mit ihnen eingegangen und zieht, da ihr Listenpartner der Europawahlen 2012 Mouvement démocrate (MoDem) eine gemeinsame Liste mit LREM gebildet hat, ausschließlich mit eigenen Kandidaten in den Wahlkampf.

Aussichten: Bei den Europawahlen 2014 hat die UDI gemeinsam mit dem MoDem einen Stimmenanteil von 10 %, LR (damals noch als UMP) von 21 % erreicht, was zusammen 27 Sitzen entsprach. Laut einer am 14. Mai 2019 veröffentlichten Umfrage können LR am 26. Mai mit 11 % der abgegebenen Stimmen rechnen, die UDI mit 1,5 %, demnach würden nur die LR wegen der in Frankreich bei den Europawahlen geltenden Fünf-Prozent-Hürde Sitze im Straßburger Parlament erreichen.

Listen der gemäßigten Linken

Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 haben die französischen Grünen Europe Écologie Les Verts (EELV) auf einen eigenen Kandidaten verzichtet und den der Parti socialiste (PS) unterstützt, um die Erfolgs­aussichten der gemä­ßigten französischen Linken zu verbessern. Nach den Niederlagen bei den Präsidentschafts- und Parlamentswah­len 2017 hat Benoît Hamon, Kandidat der PS, seine Partei verlassen und die Bewegung Génération.s (G·s) mit dem Ziel gegründet, parteiübergreifend die französische Linke bis zu den Europawahlen 2019 zu sammeln.

Mit ihrem Vorhaben, auf nationaler Ebene gemeinsam mit anderen linken Parteien eine Liste für die Europawahlen aufzustellen, ist G·s allerdings gescheitert. Auch der Versuch von Vertretern der Zivilgesellschaft, die sich unter dem Namen Place publique zusammengeschlossen haben, um die pro-europäische französische Linke zu einen, war erfolglos. Lediglich die PS, die Parti Radical de Gauche und die PS-Abspaltung Nouvelle Donne waren zum Bündnis mit Place publique bereit und treten nun gemeinsam mit der Plattform unter dem Namen Envie d’Europe (dt.: Lust auf Europa) an. EELV und G·s bewerben sich mit eigenen Listen und so machen sich beim Wahlgang Ende Mai drei Gruppie­rungen mit sehr ähnlichen Wahlprogrammen gegenseitig Konkurrenz.

Aussichten: Bei den Europawahlen 2014 hat die PS einen Stimmenanteil von 14 %, EELV von 9 % erreicht, was zusammen19 Sitzen entsprach. Die am 14. Mai 2019 veröffentlichte Umfrage sagt für Envie d’Europe am 26. Mai einen Anteil von 4 % der abgegebenen Stimmen, für EELV von 10 % und für G·s von 2,5 % voraus. Wegen der bei den Europawahlen in Frankreich geltenden Fünf-Prozent-Hürde würden bei Eintreffen dieser Prognose nur Kandi­daten von EELV ins EU-Parlament einziehen.

Listen der extremen Rechten

Nach ihrer Niederlage im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 hat Marine Le Pen ihre Partei programmatisch neu ausgerichtet und dabei die Forderung nach einem französischen Austritt aus dem Euro, die sie im Wahlkampf vertreten hatte, aufgegeben. Als Zeichen seiner Neuorientierung hat sich der Front National (FN) im Juni 2018 in Rassemblement National (RN) umbenannt. Spit­zenkandidat des RN bei den Europawahlen ist der 23jährige Jordan Bardella, der als Nachfahre italienischer Ein­wanderer in einem sozialen Brennpunktviertel von Saint-Denis aufgewachsen ist.

Wegen seiner parteiinternen Entmachtung und der Aufgabe der von ihm vertretenen europäischen Ziele hat Le Pens langjähriger enger Berater Florian Philippot den FN im September 2017 verlassen und tritt bei den Europa­wahlen mit der von ihm gegründeten Partei Les Patriotes an. Als weiterer Konkurrent am rechten Rand bewirbt sich die Partei Debout la France (DLF) für den Einzug ins Europaparlament. Ihr Vorsitzender Nicolas Dupont-Aignan war im Falle einer Präsidentschaft Marine Le Pens als deren Premierminister vorgesehen, hat sich aber nach der Wahl 2017 auf Druck seiner Anhänger wieder vom RN distanziert.

Aussichten: Bei den Europawahlen 2014 hat der RN einen Stimmenanteil von 25 % erreicht, was 24 Sitzen ent­sprach. DLF blieben mit 4 % unter der 5-%-Hürde, Les Patriotes sind 2014 nicht angetreten. Die am 14. Mai 2019 veröffentlichte Umfrage sieht den RN am 26. Mai bei 22 % der abgegebenen Stimmen, DLF bei 4 %, Les Patriotes bei 2,5 %.

Listen der extremen Linken

Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2017 erreichte Jean-Luc Mélenchon als Kandidat der Bewegung La France insoumise (dt.: das unbeugsame Frankreich) knapp 20 % der Stimmen und damit 13 % mehr als der von Europe Écologie Les Verts (EELV) und der Parti socialiste (PS) unterstützte Benoît Hamon. Angespornt von diesem Erfolg versucht Mélenchon seitdem La France insoumise (FI) in Frankreich als einzige relevante Kraft des linken politischen Spektrums zu etablieren und wies mehrfach Kooperationsangebote anderer Grup­pierungen zurück. Bei den Europawahlen tritt FI folglich mit einer eigenen Liste an, ihre Spitzen­kan­di­datin ist die frühere Sprecherin der Nichtregierungsorganisation Oxfam France, Manon Aubry (*1989).

Die Parti communiste français (PCF), die 2012 und 2017 zur Wahl Mélenchons als Präsidenten aufgerufen hatte, wollte zu den von FI vorgegebenen Bedingungen nicht länger mit dieser Bewegung zusammenarbeiten und hat für die Europawahlen eigene Kandidaten aufgestellt, an erster Stelle steht Ian Brossat (*1980), der in Paris als stell­vertretender Bürgermeister für Wohnungsfragen zuständig ist.

Aussichten: Unter dem Namen Front de gauche haben beide Parteien gemeinsam bei den Europawahlen 2014 in Frankreich einen Stimmenanteil von 6,6 % und damit 4 Abgeordnetenmandate erzielt. Für den 14. Mai prognosti­ziert die erwähnte Umfrage für FI am 26. Mai einen Stimmenanteil von 7,5 % der abgegebenen Stimmen, für die PCF einen Anteil von 2 %.

28. Mai 2019

28. Mai 2019: Ergebnisse der Europawahlen 2019 in Frankreich

Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen in Frankreich am 26. Mai 2019 lag bei 50,12 %, damit um 7,7 % höher als bei den Europawahlen 2014 und so hoch wie zuletzt 1994.Insgesamt haben 23.731.252 von 47.344.735 wahlberechtigen Franzosen ihre Stimme abgegeben, die Zahl der gültigen Stimmen lag bei 22.654.224 (1.077.028 Stimmen wurden als ungültig oder Enthal­tungen gewertet). Besonders diejenigen (deut­lich über 50%), die die Ideen der Gelbwesten unterstützen, und diejenigen, die ihnen ablehnend gegenüber stehen, haben von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Auffällig ist, dass die Beteiligungsquoten von Wählern mit Hoch­schulabschlüssen bzw. Besserverdienenden und Wählern, die ihre Bildungslaufbahn mit oder vor dem Bacca­lauréat abgeschlossen haben bzw. Geringverdienern im Vergleich zu anderen Wahlen näher beieinander liegen.

Die vergleichsweise hohe Beteiligung der letzteren Gruppe ist vor allem der Liste des Rassemblement National (RN) zu Gute gekommen, der zugleich am meisten von allen Parteien von den Stimmen der Gelbwestensympathi­santen profitiert hat. Auch unter den Berufstätigen (außer bei den Bes­serverdienenden) und den 35 – 59jährigen hat der RN am besten abgeschnitten. Mit einem Stimmanteil von 23,31 % hat die Partei die Europawahlen in Frankreich gewonnen und ist künftig mit 23 Abgeordneten im Europaparla­ment vertreten. In 72 von 106 Départe­ments und Überseegebieten holte er die meisten Stimmen, besonders hoch waren seine Ergebnisse in den Dépa­rtements an der Mittelmeerküste und im Nordosten Frankreichs. Sein bestes Ergebnis erzielte er im nordfranzö­sischen Département Aisne mit 39,87 %, sein schwächstes in Paris mit 7,22 %.

Renaissance, die Liste der Zentrumsparteien, auf der auch die Kandidaten der Regierungspartei La République en Marche (LREM) angetreten sind, erzielte ihre besten Ergebnisse in den Metropolen und deren näheren Umge­bung, z.B. im Département Hauts-de-Seine westlich von Paris mit 33,57 %, und profitierte hier vor allem von den Stimmen der urbanen Mittel- und Oberschicht und gut gestellten Rentnern. Die Altersstruktur der Wählerschaft, die mit ihrer Stimme die Politik der Regierung unterstützen, hat sich gegen­über den Wahlen von 2017 verändert: Waren es vor zwei Jahren noch in erster Linie Wähler jüngeren und mittleren Alters, die Emmanuel Macron und seinen Anhängern zur Macht verhalfen, erreicht seine Liste diesmal eine ein­deutige Mehrheit nur in der Gruppe der über 70jährigen, einem Wählermilieu, das sich traditionell durch eine sehr hohe Wahlbeteiligung (diesmal 65 %) auszeichnet. Dass Renaissance trotzdem mit 22,41 % knapp hinter dem RN liegt und ihr Wähleranteil etwas niedriger ist als der von Emmanuel Macron im ersten Wahlgang der Präsident­schaftswahlen, hat seine Ursache darin, dass in etwa so viele Wähler, wie aus dem rechten Spektrum hinzuge­wonnen wurden, zu linken Formationen wie Europe Écologie les Verts oder Place Publique/Parti socialiste (PS) abgewandert sind. Trotz etwas weniger Stimmen zieht Renaissance wie der RN mit 23 Abgeordneten ins Europaparlament ein.

Die Zuspitzung des Wahlkampfs auf eine Entscheidung zwischen einem „Für“ oder „Gegen“ Europa ist vor allem zu Lasten von Les Républicains (LR) gegangen: Im Vergleich zu 2017 haben LR fast zwei Drittel ihrer Wählerschaft verloren, den liberal-konservativen Teil (ca. 27 %) vor allem an Renaissance, den nationalistisch gesinnten an den RN (ca. 18 %). Die Fokussierung auf eine katholisch-konservative Rechte, die ihr Spitzenkandidat François-Xavier Bellamy vertrat, und die programmatische Annäherung an den RN hat sich nicht ausgezahlt: Gegenüber 2014 verloren LR über 12 % der Stimmen und erreichten einen Anteil von 8,48 %, im neuen Europaparlament sind sie nur noch mit 8 Abgeordneten vertreten.

Die Stimmen für die politische Linke verteilten sich auf fünf verschiedene Listen: Als einzige von ihnen konnte sich die der französischen Grünen Europe Écologie Les Verts (EELV) gegenüber 2014 wesentlich verbessern und zwar von 8,95 % (2014) auf 13,47 % (2019). Dank diesem Ergebnis können sie 13 Vertreter ins neue Europaparlament entsenden. Wie Renaissance wurde EELV v.a. in den Großstädten und deren Umland gewählt. In der Altersgruppe der 18 – 34jährigen Wähler waren sie die beliebteste Partei und erhielten 27 % der Stimmen, unter den Wählern mit Hochschulabschluss waren es insgesamt 20 %.

Die gemeinsame Liste Envie d’Europe, zu der u.a. die Plattform Place Publique und die Parti Socialiste (PS) gehören, kam auf 6,19 %. Damit setzt sich der Rückgang der politischen Bedeutung der PS auch 2019 fort, künftig werden die Sozialisten mit drei statt 13 Parteimitgliedern in Strasbourg vertreten sein, die drei anderen Vertreter von Envie d’Europe gehören anderen Parteien an.

Der Versuch der Bewegung La France insoumise (FI), sich als stärkste und einzig relevante Kraft im linken politischen Spektrum zu etablieren, war nicht erfolgreich: Gegenüber den Präsidentschaftswahlen 2017, als ihr Kandidat Jean-Luc Mélenchon knapp 20 % erreichte, hat sich ihr Stimmenanteil um zwei Drittel auf 6,31 % reduziert, was sechs Abgeordnetenmandaten entspricht. Die Bewegung Génération.s (G·s) des früheren sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Benoît Hamon scheiterte mit 3,3 % ebenso an der Fünf-Prozent-Hürde wie die Parti communiste français (PCF) mit 2,5 %. Insgesamt kommt das linke Lager auf 31,77 % der Stimmen und wäre gemeinsam vermutlich stärker gewesen als Renaissance und der RN. Wegen der Zersplitterung der Kräfte zeigten sich potentielle Wähler während des Wahlkampfs irritiert und frustriert, und schon vor dem 26. Mai sprachen sich Politiker der verschiedenen Gruppierungen für eine Neustrukturierung des linken Spektrums und eine bessere Zusammenarbeit bei den Kommunalwahlen 2020 sowie den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2022 aus.

Parteiübergreifend waren 20 der 79 gewählten Abgeordneten bereits Mitglieder des von 2014 – 2019 bestehenden Europaparlaments. Der Altersschnitt der französischen Delegation sinkt mit der Wahl von 54,6 auf 49,6 Jahre, mit dem 23jährigen Jordan Bardella stellt der RN künftig den jüngsten aller Europaabgeordneten, dennoch sind die RN-Abgeordneten im Schnitt 52 Jahre alt. In Zukunft werden 40 Frauen und 39 Männer die Interessen der Franzosen in Strasbourg vertreten, ihr Anteil steigt damit von bisher 42 % auf knapp über die Hälfte.

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