- Kurzanalysen und Vergleiche der Programme der verschiedenene Kandidatinnen und Kandidaten für die Präsidentschaft des Landes
- Kurzportraits der Kandidatinnen und Kandidaten und der Parteien bzw. der Bewegungen, die sie unterstützten
- Kurzanalysen zu den Parlamentswahlen
- Erläuterungen zu den ersten Maßnahmen, die die Regierung von Premierminister Edouard Philippe auf den Weg gebracht hat
dfi-analyse

Ein neues politisches Koordinatensystem?
2022 , 16 S.
Die Wiederwahl Emmanuel Macrons offenbart eine tiefe Spaltung der französischen Gesellschaft. Diese wird vom praktisch verschwundenen traditionellen…
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Programmvergleiche
11. März 2022: Vergleich der Positionen der wichtigsten Kandidaten des rechten Spektrums: Marine Le Pen, Valérie Pécresse, Éric Zemmour
21. März 2022: Vergleich der Positionen der wichtigsten Kandidaten des linken Spektrums: Anne Hildalgo, Yannick Jadot, Jean-Luc Mélenchon, Fabien Roussel, Christiane Taubira
28. März 2022: Die Programme der fünf in den Umfragen führenden Kandidaten im Vergleich
12. April 2022: Die Programme von Marine Le Pen und Emmanuel Macron im Vergleich
Einig nur darin, die Nutzung der Atomenergie auszubauen und Importware nach CO2-Ausstoß zu besteuern
Präsidentschaftswahlen - Kurzanalysen und -portraits
21. Februar 2022: Das Sammeln von Unterstützungsunterschriften, um bei den Präsidentschaftswahlen antreten zu können
All diejenigen, die sich 2022 für das Präsidentenamt der V. Republik bewerben wollen, müssen nachweisen, dass mindestens 500 gewählte Volksvertreter ihre Kandidatur unterstützen. Denn nur eine ausreichende Zahl von Patenschaften berechtigt zur Teilnahme am ersten Wahlgang am 10. April 2022.
Ein solcher Nachweis muss von dem Volksvertreter, der bereit ist, als Pate einzustehen, per Post an den Verfassungsrat geschickt werden und darf erst eingesandt werden, wenn das décret de convocation des électeurs (dt.: Dekret zur Einberufung der Wähler) veröffentlicht wurde, was spätestens zehn Wochen vor dem ersten Wahlgang geschehen muss. Der 6. Freitag vor dem ersten Wahlgang ist der letztmögliche Termin, zu dem eine Wahlpatenschaft eingereicht werden kann, im Jahr 2022 ist dies der 4. März.
Die Mandatsträger, die ein Kandidat für sich gewinnen muss, müssen aus 30 unterschiedlichen Départements kommen, und nur ein Zehntel von ihnen, also 50, darf in demselben Département politisch aktiv sein.
Eine valide Unterstützungserklärung leisten können
- Mitglieder der Assemblée Nationale, Senatoren und französische Mitglieder des Europaparlaments
- Mitglieder der Département- und Regionalräte und Mitglieder und Präsidenten der Räte von Korsika und der französischen Überseegebiete
- Bürgermeister, Präsidenten von kommunalen Zusammenschlüssen und die Mitglieder der Räte von Paris und der Metropole Lyon
- Die Mitglieder der Versammlung der Auslandsfranzosen und die Präsidenten der Konsularräte
Eingeführt wurde diese Regelung 1962. Zunächst waren nur 100 Unterschriften nötig, um bei der Wahl antreten zu können, 1976 wurde die Zahl auf 500 erhöht. 2016 wurde außerdem festgelegt, dass zweimal wöchentlich veröffentlicht werden muss, welcher Mandatsträger welchem Kandidaten mit seiner Unterschrift eine Kandidatur ermöglichen möchte. Durch die Verpflichtung, Unterstützungsunterschriften nachzuweisen, soll die Zahl der Wahlvorschläge überschaubar bleiben und verhindert werden, dass Personen, die über wenig Rückhalt und Bekanntheit in der Bevölkerung verfügen, kandidieren. Vor der Präsidentschaftswahl 2017 haben 14.296 (34 %) der 42.000 dafür berechtigten Mandatsträger 61 unterschiedlichen Bewerbern ihre Unterschrift gegeben. Elf von ihnen konnten letztlich an der Wahl teilnehmen.
Die Menge der Unterschriften, die ein Bewerber für sich sammeln kann, entspricht nicht zwangsläufig seinem Bekanntheitsgrad und seinem Stand in den Meinungsumfragen. Unter den sechs Politikern, die bis zum 21. Februar 2022 über 500 Unterstützungsunterschriften erhalten haben, finden sich mit Nathalie Arthaud, Jean Lassalle und Fabien Roussel drei, die in Umfragen, die zum gleichen Zeitpunkt veröffentlicht wurden, bei Stimmanteilen zwischen 0,3 % und 4,1 % standen. Gleichzeitig fehlen der hier mit 16,6 % notierten Marine Le Pen, die mit Unterstützung des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) antreten möchte, noch 107, Jean-Luc Mélenchon, den die Demoskopen bei 10,2 % sehen und der der linkspopulistischen Partei La France insoumise (FI) angehört, noch 58 und dem unabhängigen Rechtspopulisten Éric Zemmour, für den ein Stimmanteil von 14,5 % vorausgesagt wird, noch 150. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Eine neue Konkurrenzsituation: Marine Le Pen und Éric Zemmour vertreten ähnliche Positionen und bemühen sich deshalb um die Unterstützung der gleichen Volksvertreter; viele Gewählte, die der Parti Communiste Français (PCF) angehören, unterstützen 2022 den PCF-Kandidaten Fabien Roussel und nicht wie 2012 und 2017 Jean-Luc Mélenchon
- Verluste des RN und des FI bei den Kommunalwahlen 2019 und den Regionalwahlen 2020 haben zur Folge, dass beide Parteien auf regionaler und lokaler Ebene weniger Mandatsträger stellen als 2017
- Wegen der Veröffentlichung aller getätigten Patenschaften scheuen Gewählte davor zurück, Patenschaften für Kandidaten zu unterschreiben, die links- oder rechtsextreme Positionen vertreten
Um zu verhindern, dass die Präsidentschaftswahl durch den systembedingten Ausschluss eines Kandidaten, der in der Wählerschaft viel Rückhalt genießt, diskreditiert wird, hat eine vom früheren Premierminister Lionel Jospin geleitete Kommission 2012 vorgeschlagen, das nötige Minimum von 500 Patenschaften von gewählten Volksvertretern durch ein Minimum von 150.000 Patenschaften von wahlberechtigten Bürgern zu ersetzen. Dieser Vorschlag wurde trotz einer entsprechenden Gesetzesinitiative 2020 allerdings nicht umgesetzt.
François Bayrou, Vorsitzender der Regierungspartei Mouvement démocrate (MoDem), hat deshalb als kurzfristige Maßnahme vorgeschlagen, einen Pool von Mandatsträgern zu bilden, aus dem all jene Kandidaten, die in den Umfragen über 10 % liegen, aber nicht ausreichend Unterschriften für eine Wahlteilnahme erhalten haben, Unterschriften abrufen können. Laut Aussage von Bayrou haben bis zum 21. Februar 80 Mandatsträger ihre Bereitschaft signalisiert, vorerst keine Unterstützungsunterschrift zu leisten und die das von Bayrou gebildete Kollektiv Notre Démocratie zu unterstützen.
17. März 2022: Vermögensverhältnisse der Kandidaten
Alle Bewerber, die berechtigt sind, am ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl teilzunehmen, müssen ihre Vermögensverhältnisse, d.h. den aktuellen Wert ihrer Immobilien, ihre mobilen Werte (Bankguthaben, Lebensversicherungen, Autos, Kunstwerke u.ä.) sowie noch nicht beglichene Schulden, offenlegen. Ihre Erklärungen wurden am 8. März auf der Website der Hohen Behörde für Transparenz im öffentlichen Leben veröffentlicht, wobei diese Stelle nicht die Möglichkeit hat, die Richtigkeit der Angaben zu überprüfen.
Anne Hidalgo (*1959), Kandidatin der Parti socialiste (PS) und Bürgermeisterin von Paris, besitzt zusammen mit ihrem Mann zur Hälfte ein 118 m2 großes Haus in Paris, das auf 1.4 Mill. € geschätzt wird und für das noch 400.000 € an Rückzahlungen ausstehen, und zu einem Viertel eine Wohnung in Spanien. Sie verfügt über ein Barvermögen von rund 120.000 €, das auf verschiedenen Bankkonten liegt und eine Lebensversicherung, die ihr ab dem 62. Lebensjahr eine jährliche Rente in Höhe von 4.695 € garantiert.
Yannick Jadot (*1967), Kandidat des Pôle écologiste, besitzt keine Immobilien, sein Vermögen ist in einer Lebensversicherung mit einem aktuellen Rückkaufwert von 67.000 € und Spareinlagen in Höhe von 325.000 € angelegt. Als einzigen Besitz hat er einen Elektroroller im Wert von 4000 € angegeben. Als Europaabgeordneter erhält er Diäten in Höhe von 108.900 € brutto pro Jahr.
Marine Le Pen (*1968), Kandidatin des Rassemblement National (RN), hat Immobilienwerte in Höhe von 1.68 Mio. € angegeben, die sich aus einem Teilbesitz an mehreren Häusern und Anteilen an einer Immobiliengesellschaft zusammensetzen, eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufwert von 41.000 € und ein Barvermögen von 53.000 €. Außerdem muss sie drei Kredite bedienen, darunter einen in Höhe von 10.7 Mio. € für eine Laufzeit von 16 Monaten, den sie für ihre Präsidentschaftskampagne bei der ungarischen Bank MKB aufgenommen hat. Als Präsidentin des RN erhielt sie 2021 eine Aufwandsentschädigung von 60.000 €, für ihr Mandat als Abgeordnete in der Assemblée Nationale ein zu versteuerndes Nettogehalt von 70.773 €; als Rätin des Département Pas-de-Calais steht ihr seit Juli 2021 eine jährliche Aufwandsentschädigung von 20.764 € netto zu.
Emmanuel Macron (*1977), amtierender Präsident und Kandidat der Partei La République En Marche (EM), hat eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufwert 113.473 € und Ersparnisse und Anlagen in Höhe von knapp 500.000 € angegeben und muss noch 122.515 € für ein Baudarlehen zurückzahlen, das er 2011 für die Renovierung eines Hauses aufgenommen hat. Sein Vermögen hat sich damit seit seinem Amtsantritt fast verdoppelt. Für die Ausübung seiner Funktion erhielt er im Jahr 2021 ein zu versteuerndes Nettogehalt von 196.314 €.
Jean-Luc Mélenchon (*1951), Kandidat der Bewegung La France insoumise (FI) ist Eigentümer eines 110 m2 großen Appartements in Paris im Wert von 1,2 Mio. € und eines 150 m2 großen Landhauses im Département Loiret im Wert von 170.000 €, kann über ein Barvermögen in Höhe von 95.000 € verfügen und muss 100.000 € für einen Immobilienkredit begleichen. Für sein Mandat als Abgeordneter in der Assemblée Nationale erhielt er 2021 ein zu versteuerndes Nettogehalt von 71.200 €.
Valérie Pécresse (*1967), Kandidatin der Bewegung Les Républicains (LR), ist die Vermögendste unter den zwölf Kandidaten. Sie ist Eigentümerin von zwei großen Einfamilienhäusern in Versailles und im Badeort La Baule an der Atlantikküste im Wert von 4,1 Mio. € und weiterem Immobilienbesitz im Wert von 70.000 €. Zusammen mit ihrem Ehemann, der als Manager bei General Electric tätig ist, verfügt sie außerdem über ein Barvermögen in Höhe von 6.5 Mio. € in Form von Lebensversicherungen, Rentensparplänen, Aktienoptionen, Aktien und Guthaben auf Girokonten. Gemeinsam besitzen sie außerdem Kunstwerke im Wert von 60.000 €. Demgegenüber stehen 811.000 € Schulden für einen Immobilienkredit und noch zu zahlenden Sozialabgaben und Einkommenssteuer in Höhe von 173.749 € für das Jahr 2022. In ihrer Funktion als Präsidentin des Regionalrats der Region Île-de-France verdient Valérie Pécresse 54.082 € netto pro Jahr.
Fabien Roussel (*1969), Kandidat der Parti communiste français (PCF), besitzt ein Einfamilienhaus mit einem Marktwert von 180.000 € und einen 60 %-Anteil im Wert von 120.000 € an einem weiteren; demgegenüber stehen knapp 98.700 € noch zu begleichende Schulden, die er für den Erwerb dieser Immobilien in seinem Heimatdépartement Nord aufgenommen hat. Sein Barvermögen beläuft sich auf 16.500 €, wobei eines seiner Girokonten zum Zeitpunkt seiner Vermögenserklärung mit 219 € im Soll stand. Für sein Mandat als Abgeordneter in der Assemblée Nationale erhält er ein zu versteuerndes Nettogehalt von 70.676 € pro Jahr, als Gemeinderat eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 3.490 €.
Éric Zemmour (*1958), Kandidat der Bewegung Reconquête!, besitzt zwei Wohnungen und Anteile an drei weiteren im Wert von knapp 2,9 Mio. € in Paris, eine 90 %-Beteiligung am Verlag Rubempré im Wert von 1,53 Mio. € und Lebensversicherungen mit einem Rückkaufwert von 444.335 €. Seine Verbindlichkeiten für vier Immobilienkredite belaufen sich auf 633.329 €. Im Jahr 2021 hat er für seine journalistische Tätigkeit für den Figaro 66.181 € netto erhalten und 180.000 € als Gewinnausschüttung für seine Anteile an Rubempré.
Jean Lassalle (*1955), Kandidat der Bewegung Résistons!, und ehemaliger Schäfer, besitzt Land in der Region Pyrénées-Atlantique im Wert von 120.000 €. Er besitzt außerdem drei Häuser und eine Wohnung in der gleichen Region im Gesamtwert von 680.000 €. Auf seinen verschiedenen Bankkonten hat er rund 32.000 € verbucht.
Das Vermögen von Nicolas Dupont-Aignan (*1961), Kandidat der Partei Debout la France, beläuft sich auf 2 Mill. € und besteht hauptsächlich aus Immobilienwerten.
Philippe Poutou (*1967), Kandidat der linksextremen Partei Nouveau Parti anticapitaliste, ist seit seiner Entlassung aus dem Ford-Werk in Blanquefort (Gironde) im September 2021 arbeitslos. Er hat kein Immobilienvermögen, aber fast 100.000 €, die sich auf vier Bankkonten verteilen. Er bezieht Zulagen als Stadt- und Metropolitanrat in Bordeaux.
Seine Konkurrentin Nathalie Arthaud (*1970) von der ebenfalls linksradikalen Partei Lutte Ouvrière besitzt zur Hälfte eine 48m2 große Wohnung in Pantin bei Paris im Wert von 248.000 €. Sie verfügt über insgesamt 37.000 € auf ihren vier Bankkonten und besitzt einen Citroën C3 mit einem aktuellen Wert von 3.500 €.
18. März 2022: Positionen des Amtsinhabers und Kandidaten für seine Wiederwahl Emmanuel Macron
Am 17. März hat Emmanuel Macron im Rahmen einer vierstündigen Pressekonferenz im Veranstaltungssaal Docks de Paris im Pariser Vorort Aubervilliers sein Programm für die nächsten fünf Jahre vorgestellt, am Tag danach wurde unter dem Titel Emmanuel Macron avec vous eine Broschüre veröffentlicht, in der seine Vorhaben für eine neue Amtszeit aufgeführt sind.
Europa / Außen- und Verteidigungspolitik:
- Abkommen von Schengen reformieren, um die europäischen Grenzen zu stärken, zur Stärkung der nationalen Grenzen eine « force des frontières » (dt.: Grenzstreitmacht) gründen
- Um die staatliche Souveränität zu sichern, die französische Armee bis 2030 vollständig modernisieren, den Verteidigungshaushalt dafür bis 2025 auf 50 Mrd. € jährlich erhöhen (2021 lag er bei 39,2 Mrd. €)
- Die Zahl der Reservisten der französischen Armee verdoppeln
Innere Sicherheit / gesellschaftliches Leben:
- Bis 2027 200 neue Brigaden der Gendarmerie aufstellen und 1.500 Personen zur Verbrechensbekämpfung im Internet einstellen
- 8.500 Staatsanwälte und juristische Hilfskräfte neu einstellen
- Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist ein Hauptziel der Amtszeit von 2022 - 2027. Dafür gilt es v.a. die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen zu sichern, Alleinerziehende besser zu unterstützen und die Gesundheit von Frauen besser zu schützen
- Eine Bürgerkommission wird beauftragt, einen Vorschlag zu erarbeiten, wie Tod auf Verlangen gesetzlich geregelt werden kann
- Der Allgemeine Nationaldienst für Jugendliche wird ausgeweitet. Für diejenigen, die sich dafür fest verpflichten, wird der Führerschein finanziert, diejenigen, die sich langfristig als Reservisten zur Verfügung stellen, erhalten während ihrer Ausbildungszeit 2.500 € jährlich als Unterstützungsleistung
Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik:
- Langfristige Aufenthaltsgenehmigungen nur für die Ausländer, die einen Französischtest bestehen und beruflich integriert sind
- Verfahren über Asylanträge und Aufenthaltsgenehmigungen werden beschleunigt, zurückgewiesene Antragssteller zügig abgeschoben
- An Bürger von Staaten, die eigene Staatsbürger, die aus Frankreich ausgewiesen werden sollen, nicht wieder aufnehmen, werden weniger Einreisevisa nach Frankreich vergeben
Wirtschafts-, Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik:
- Importware, die außerhalb der EU produziert wurde, wird entsprechend des CO2, das bei der Produktion freigesetzt wurde, besteuert
- Die Steuern für Verbraucher und Unternehmen werden jeweils um 7,5 Mrd. € reduziert, u.a. soll die 2010 eingeführte Wertschöpfungssteuer für Unternehmen abgeschafft werden. Diese Maßnahmen sollen über eine Vollbeschäftigung bis zum Jahr 2027 gegenfinanziert werden
- Investitionen in Höhe von 30 Mrd. € in Zukunftstechnologien wie Biomedizin, Cloud-Technologien und Atomreaktoren der dritten und vierten Generation
- Das Renteneintrittsalter wird progressiv auf 65 erhöht, wobei für Menschen, die in körperlich anstrengenden Berufen arbeiten, eine sehr lange Lebensarbeitszeit nachweisen können oder invalide sind, ein früherer Eintritt in den Ruhestand weiterhin möglich sein wird
- Mindestrente in Höhe von 1.100 € pro Monat für alle, die eine vollständige Erwerbsbiographie nachweisen können
- Sonderrentensysteme für bestimmte Berufsgruppen und Arbeitgeber (z.B. für den Stromkonzern Électricité de France) gelten für Berufsanfänger nicht mehr
- Firmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten werden regelmäßig daraufhin kontrolliert, ob sie die geltenden Richtlinien einhalt
- Personen, die den Revenu de solidarité active (RSA) (dt.: Aktive-Solidarität-Einkommen) erhalten, sind künftig dazu verpflichtet, 15 – 20 Stunden pro Woche einer Beschäftigung nachzugehen, die ihre berufliche Wiedereingliederung erleichtert
- Steuerfreie Erbschaft in Höhe von 150.000 € in direkter Linie
- Arbeitnehmer können jedes Jahr eine für Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgabenfreie Prämie in Höhe von 3.000 € erhalten
Bildungs- und Kulturpolitik:
- Lehrkräfte, die zusätzliche Aufgaben akzeptieren, werden besser bezahlt
- Alle Lehrkräfte, die ausfallen, werden vertreten
- Mehr Französisch- und Mathematikunterricht von der ersten bis zur sechsten Klasse
- Mathematikunterricht wird im Sekundarbereich II ausgeweitet und bis zum Ende der Schullaufbahn verpflichtend
- Praxisanteil an beruflichen Gymnasien auf bis zu 50 % erhöhen, um die berufliche Eingliederung der Schüler zu erleichtern. Schüler werden während der Praxisphasen bezahlt
- Der 2019 eingeführte Pass Culture wird ausgeweitet, um alle Jugendlichen früher mit Kultur in Berührung zu bringen
- Abschaffung der Rundfunkabgabe, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird künftig direkt finanziert
Umwelt (Energieversorgung und Verkehr):
- Frankreich soll die erste große Nation sein, die nicht mehr von fossilen Brennstoffen zur Energieerzeugung abhängig ist. Dafür werden
- sechs neue Atomkraftwerke gebaut und der Bau von acht weiteren geprüft
- 50 Windparks im offenen Meer installiet
- die Kapazität zur Erzeugung von Sonnenenergie verzehnfacht
- Um Energie einzusparen werden jährlich mindestens 700.000 Wohneinheiten energetisch saniert
- Leasingmodelle werden entwickelt, die Haushalten mit geringem Einkommen den Kauf von Elektroautos ermöglichen
- Bis 2030 werden 140 Mio. Bäume gepflanzt
Gesundheitspolitik:
- 50.000 Krankenpflege- Hilfspflegekräfte einstellen
- Die Produktion von Medikamenten nach Frankreich zurückverlagern
Positionen des Amtsinhabers und Kandidaten für seine Wiederwahl Emmanuel Macron
21. März 2022: Kurzportraits der wichtigsten Kandidaten des linken Spektrums
Anne Hidalgo (*1959), Kandidatin der Parti socialiste (PS), ist in Spanien geboren und lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Frankreich. Sie hat einen Abschluss in Sozial- und Gewerkschaftsrecht und kontrollierte von 1984–1993 im Staatsdienst die Einhaltung von Arbeitsrichtlinien in Firmen. 1997-2002 arbeitete sie als Beraterin in verschiedenen Ministerien der Regierung Jospin, ab 2001 war sie Beigeordnete des Bürgermeisters von Paris. 2014 wurde sie zur Bürgermeisterin von Paris gewählt und 2020 in diesem Amt bestätigt.
Nach einem parteiinternen Auswahlverfahren wurde sie zur Kandidatin der PS bei der Präsidentschaftswahl 2022 bestimmt. Als einzige Bewerberin aus dem linken Spektrum spricht sie sich dafür aus, das Regelrenteneintrittsalter bei 62 zu belassen, will aber die Mindestrente auf 1.200 € monatlich anheben. Ein Schwerpunkt ihres Programms liegt auf der Bildungspolitik. U.a. soll unter Einbeziehung der Privatschulen die soziale Durchmischung an den Schulen gefördert und die Bezahlung der Lehrkräfte dem Durchschnitt anderer europäischer Länder angepasst werden.
Yannick Jadot (*1967), Kandidat des Pôle écologiste, hat Wirtschaftswissenschaften studiert und im Anschluss für Nichtregierungsorganisationen in Burkina Faso und Bangladesch in den Bereichen Entwicklung und Umweltschutz gearbeitet. Von 2002-2008 war er für Greenpeace France tätig. Seit 2009 ist er für Europe Écologie Les Verts (EELV) Abgeordneter im EU-Parlament. 2017 zog er sich als EELV- Kandidat bei der Präsidentschaftswahl zugunsten des PS-Kandidaten Benoît Hamon zurück (der letztlich im ersten Wahlgang enttäuschende 6,36 % erzielte).
2021 gewann er die offene Vorwahl des Pôle écologiste, dem neben EELV vier weitere linksorientierte Ökoparteien angehören, und wurde so dessen Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2022. Als einziger prominenter Kandidat spricht er sich für ein föderales Europa aus, in dem Entscheidungen nicht grundsätzlich einstimmig, sondern auch mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden können. In seinem Programm finden sich viele Vorschläge für eine konsequentere Umwelt- und Klimapolitik, u.a. das Verbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor bis 2030, ein sofortiges Verbot für Flüge zu Zielen, die in vier Stunden mit dem Zug erreicht werden können, und ein Moratorium für den Flächenverbrauch ab 2025.
Jean-Luc Mélenchon (*1951), Kandidat der Bewegung La France insoumise (FI), hat Philosophie studiert und in den 1970er-Jahren als Lehrer und Journalist gearbeitet. Zwischen 1986–2010 vertrat er für die PS das Departement Essonne 19 Jahre lang im Senat, von März 2000 bis Mai 2002 war er Minister für Berufsbildung in der Regierung Jospin. 2008 verließ er die PS, weil sie seiner Ansicht nach traditionell linke Positionen nicht mehr vertritt, und gründete die Parti de Gauche (an der deutschen Partei „die Linke“ orientiert), aus der 2016 die Bewegung La France insoumise (FI) hervorging. Bei der Präsidentschaftswahl 2017 verfehlte er als ihr Kandidat mit 19.6 % der Stimmen in der ersten Runde nur knapp den Einzug in die Stichwahl. Bemerkenswert war außerdem, dass er die Mehrheit bei den Wählern unter 25 erreichte.
2022 tritt er mit Unterstützung von 270.000 Bürgerpatenschaften unter dem Motto Union Populaire an, FI spielt in seinem Wahlkampf keine sichtbare Rolle. Sein Programm ist im Vergleich zu 2017 noch stärker auf den Umwelt- und den Klimaschutz ausgerichtet und weist hier große Parallelen zu dem von Yannick Jadot auf. Anders als noch 2017 spricht er sich nicht mehr für einen EU-Austritt aus, verspricht aber, sich EU-Vorgaben zu widersetzen, wenn sie die Umsetzung seines Regierungsprogramms verhindern. Im Gegensatz zu Jadot, Hidalgo und Taubira ist er für einen NATO-Austritt Frankreichs, die Gründung einer VI. Republik und damit verbunden für die Aufgabe des Präsidialsystems.
Fabien Roussel (*1969), Kandidat der Parti communiste français (PCF), war zunächst für die PCF-eigene Zeitung l’Humanité tätig, erwarb parallel dazu ein Diplom bei einer Fortbildungseinrichtung für Journalisten und arbeitete im Anschluss als Bildreporter. 1997 trat er als Berater in das kommunistisch geführte Staatsministerium für Tourismus ein und unterstützte danach als parlamentarischer Attaché verschiedene kommunistische Abgeordnete. 2017 wurde er in einem Wahlkreis an der französisch-belgischen Grenze in die Assemblée nationale gewählt, 2018 zum Nationalsekretär der PCF.
Im Mai 2021 beschließt die PCF, nicht wie bei den Präsidentschaftswahlen 2012 und 2017 Jean-Luc Mélenchon zu unterstützen, sondern Fabien Roussel als eigenen Kandidaten aufzustellen. Anders als die anderen Bewerber des linken Spektrums spricht er sich für eine zeitlich unbegrenzte Nutzung der Atomenergie aus, da nur sie eine kostengünstige CO2-freie Energieversorgung ermögliche. Roussel gibt sich als Mann des einfachen Volkes, der ein allzu großes Engagement für Umweltfragen für einen Luxus hält, den sich nur Besserverdienende leisten können. Er räumt offen ein, keine Chancen auf den Gewinn der Wahl zu haben und rechtfertigt seine Kandidatur mit der nötigen Sichtbarkeit der PCF.
Christiane Taubira (*1952), unabhängige Kandidatin, stammt aus dem Überseedépartement Französisch-Guayana, hat Wirtschaftswissenschaften studiert, dieses Fach bis 1982 unterrichtet und im Anschluss verschiedene lokale Wirtschaftsinstitute geleitet. 1993 gelang ihr ohne Parteiunterstützung der Einzug in die Assemblée nationale, der sie bis 2012 angehörte. Parallel dazu war sie von 1994-1999 Mitglied des Europa-Parlaments. Von 2012-2016 war sie Justizministerin unter der Präsidentschaft François Hollandes und brachte in dieser Eigenschaft Gesetze in das Parlament ein, die die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglichen und die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufen.
Im Oktober 2021 sprachen sich 130.000 Internetnutzer für sie als gemeinsame Kandidatin der Linken aus, im Januar 2022 gewann sie als einzige etablierte Politikerin, die bereit war, sich dieser Wahl zu stellen, die offene Vorwahl Primaire populaire. Am 14. Februar erklärte der Präsident der gemäßigten Linkspartei Parti radical de gauche, der Taubira seit 2001 angehört, dass der Versuch, die Linke zu einen gescheitert sei, und die Partei deshalb nicht länger ihre Kandidatur unterstützten wird. Am 2. März hat sie ihre Kandidatur wegen fehlender Unterstützungsunterschriften zurückgezogen.
1. April 2022: Kurzportraits der Kandidaten Nathalie Arthaud, Nicolas Dupont-Aignan, Jean Lassalle, Philippe Poutou
Laut aktueller Umfragen werden am 10. April im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen fast 95 % der Wähler für einen Kandidaten stimmen, der in den Umfragen über 10 % liegt oder von einer etablierten Partei unterstützt wird. Etwas mehr als 5 % möchten Nathalie Arthaud, Nicolas Dupont-Aignan, Jean Lassalle oder Philippe Poutou wählen. Keiner dieser vier Kandidaten wurde vom Sender TF1 zu seiner Fernsehdebatte zu den Präsidentschaftswahlen am 14. März eingeladen, was sie einhellig als Verstoß gegen die Chancengleichheit bezeichneten. Die Verantwortlichen bei TF1 begründeten ihre Entscheidung damit, dass bis zum 28. März für Radio und Fernsehen der Grundsatz von Recht und Billigkeit gelte, nicht aber das Gleichheitsprinzip, das vorschreibt, allen Kandidaten die gleiche Sendezeit einzuräumen. Auch wenn den Vieren an diesem Abend die Gelegenheit verwehrt wurde, sich einem großen Publikum zu präsentieren, verfügen sie in den französischen Medien über eine hohe Sichtbarkeit und können sich auf eine treue Stammwählerschaft verlassen.
Nathalie Arthaud (*1970) tritt zum dritten Mal für die Partei Lutte Ouvrière (LO) an. Sie ist Lehrerin für Wirtschaft und Management und unterrichtet auch während ihres Wahlkampfs in einem Lycée nahe bei Paris. LO beruft sich auf die Ideen Leo Trotzkis und sieht die Arbeiterklasse in einer zentralen gesellschaftlichen Rolle, nur deren Ausbeutung ermögliche Firmen und Aktionären immer größere Gewinne. Deshalb fordert Arthaud ein Kündigungsverbot und die Umverteilung der Arbeit auf alle Arbeitnehmer ohne Lohnverluste für die Beschäftigten und damit die Abschaffung der Arbeitslosigkeit. Zusätzlich sollen die Angestellten die Kontrolle über ihre Unternehmen bekommen, um zu gewährleisten, dass Unternehmensentscheidungen nicht gegen das Wohl der Beschäftigten getroffen werden. Um allen Bürgern ein würdiges Dasein zu gewährleisten, sollen Gehälter generell um 300 € bzw. Gehälter und Renten auf mindestens 2.000 € netto angehoben werden, das Regelrenteneintrittsalter soll auf 60 Jahre gesenkt werden. Die Mehrwertsteuer soll nur noch für noch für Luxusprodukte erhoben werden, da sie wegen ihrer einheitlichen Höhe für alle die ungerechteste aller Steuern sei.
Auch für Nicolas Dupont-Aignan (*1961), ist es die dritte Kandidatur für die von ihm 2007 gegründeten Partei Debout la France (DLF). Er hat Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie Jura studiert und ist Absolvent der École nationale d’administration (ENA). 1989-1995 war er in der Zivilverwaltung und in Ministerien tätig, von 1995 - 2017 Bürgermeister der Stadt Yerres und ist seit 1997 Mitglied der Assemblée Nationale, bis 2007 für verschiedene Rechtsparteien, ab 2007 für DLF. Er sieht sich in der Tradition Charles de Gaulles und fordert, dass die EU durch eine Gemeinschaft autonomer Staaten ersetzt wird, das Abkommen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU ausgesetzt wird und Grenzkontrollen wiedereingeführt werden. Um die nationale Wirtschaft zu fördern, soll die öffentliche Hand ihren Bedarf zu 75 % aus heimischer Produktion decken, auf allen im Handel erhältlichen Produkten soll kenntlich gemacht werden, zu was für einem Anteil sie in Frankreich produziert wurden. Wie die anderen Kandidaten des rechten Spektrums tritt Dupont-Aignan dafür ein, die Regelung abzuschaffen, dass jeder, der in Frankreich geboren wird, automatisch ein Anrecht auf die französische Staatsbürgerschaft erhält. Für Häftlinge, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt wurden oder werden, will er auf den Kerguelen eine Strafkolonie einrichten. Im Wahlkampf 2017 inszenierte sich Dupont-Aignan als „saubere“ Alternative zu François Fillon und Marine Le Pen und erreichte so 4,7 % der Stimmen. Vor dem zweiten Wahlgang 2017 nahm er dann allerdings das Angebot Marine Le Pens, im Falle ihres Wahlsiegs unter ihr Premierminister zu werden, an und rief zu ihrer Wahl im zweiten Wahlgang auf.
Jean Lassalle (*1955) ist zum zweiten Mal Kandidat seiner Bewegung Résistons !. Er ist ausgebildeter Agrartechniker, war von 1977 - 2017 Jahren Bürgermeister einer Gemeinde mit heute 136 Einwohnern in den westlichen Pyrenäen und ist seit 2002 Mitglied der Assemblée Nationale. 2018 hat er sich hier der Groupe Libertés et territoires angeschlossen, der 18 Abgeordnete der gemäßigten Linken und Rechten angehören. Als Ziele seiner Kandidatur nennt er u.a., den ländlichen Raum zu stärken, die Electricité de France, die Autobahnen und Rüstungsunternehmen zu verstaatlichen, die EU in ein Europa der Nationen umzuwandeln und einen obligatorischen Zivil- oder Militärdienst für Jugendliche einzuführen, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Aufgeben möchte er den Ausbau der Windenergie, die Nachhaltigkeit der Sonnenenergie will er kritisch prüfen lassen, fördern möchte er den Ausbau einer modernen Atomenergieproduktion.
Philippe Poutou (*1967), Kandidat der Nouveau Parti anticapitaliste (NPA), hat die Schule ohne Abschluss verlassen und arbeitete als Mechaniker im Ford-Werk nahe Bordeaux bis zu dessen Schließung im Jahr 2019, seit 2020 ist er Mitglied des Stadt- und des Metropolrats Bordeaux. Für die NPA, die sich als eine antikapitalistische, marxistische, antirassistische, ökologische und feministische Partei bezeichnet, ist er zum dritten Mal Präsidentschaftskandidat. Die NPA strebt einen revolutionären Wandel der Gesellschaft und das Ende der Marktwirtschaft an. Wichtige Ziele Poutous sind die Einführung einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, mit einer Gesamtarbeitszeit von 32, mittelfristig 28 Stunden. Wie Nathalie Arthaud verlangt er, Kündigungen grundsätzlich zu verbieten. Den Mindestlohn möchte er auf 1.800 € netto anheben, alle Gehälter um 400 €. Unter seiner Präsidentschaft sollen alle das Recht haben, sich niederzulassen wo sie wollen, außerdem sollen alle Ausländer ohne gültigen Aufenthaltsstatus eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Gesundheitsfürsorge, alle Bildungsangebote und öffentlicher Verkehr sollen für alle kostenlos angeboten werden, private Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sollen verstaatlicht werden.
24. März 2022: Stellungnahmen der verschiedenen Kandidaten zu der Frage, wie der Staat auf die Autonomiebestrebungen Korsikas reagieren soll
Am 2. März 2022 wurde Yvan Colonna, ein korsischer Nationalist, der wegen der Ermordung des Präfekten des Départements Corse-du-Sud im Jahr 1998 im südfranzösischen Arles eine lebenslange Haftstrafe verbüßte, von einem Mitgefangenen in einem Fitnessraum minutenlang gewürgt, woraufhin er in ein Koma fiel und schließlich am 21. März verstarb. Nach der Attacke auf Colonna kam es auf Korsika zu gewalttätigen Protesten, an denen sich v.a. Jugendliche und junge Menschen beteiligten, die den französischen Staat für die Tat verantwortlich machen und weitere Autonomierechte für die Insel einfordern. Die Regionalregierung aus gemäßigten und radikalen korsischen Nationalisten, die bei den Regionalwahlen 2021 mit 70 % der Stimmen bestätigt wurde, schloss sich den Forderungen der Demonstranten an.
Der Konflikt zwischen Korsika und dem französischen Zentralstaat schien sich eigentlich beruhigt zu haben, sein erneuter Ausbruch kam für viele überraschend. Neben dem Anschlag auf Colonna werden dafür tieferliegende Gründe vermutet: Im Wahlkampf 2017 hatte Emmanuel Macron der Insel eine größere Autonomie in Aussicht gestellt, während seiner Amtszeit hat er sich aber nach Ansicht vieler Einwohner Korsikas kaum mit ihren Problemen beschäftig und die Verhandlungen über mehr Eigenständigkeit einer dem Innenminister untergeordneten Ministerin überlassen. Für Unmut sorgte außerdem, dass sich Macron 2018 anlässlich des 20. Jahrestags der Ermordung des Präfekten Claude Erignac gegen Straferleichterungen für seine Mörder ausgesprochen hat. Die Unabhängigkeit Korsikas schloss er beim gleichen Anlass grundsätzlich aus. Nicht durchsetzen konnte die Regionalregierung bisher die Forderungen, Korsisch als zweite Amtssprache auf der Insel einzuführen und nur denjenigen den Erwerb einer Immobilie auf der Insel zu gestatten, die dort seit mindestens fünf Jahren einen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sich ihre moralischen und materiellen Interessen auf Korsika konzentrieren. Die letztere Maßnahme soll dazu dienen, die Wohnungsnot auf Korsika zu lindern und die Einwanderung aus Zentralfrankreich und dem Ausland, die die korsische Identität „verwässere“, einzudämmen. Gleich wie in Zentralfrankreich sorgen auch auf Korsika die steigenden Lebenshaltungskosten für Unzufriedenheit mit der Politik.
Um die Situation zu beruhigen, entsandte Präsident Emmanuel Macron am 16. März Innenminister Gérald Darmanin zu Gesprächen mit den dort Verantwortlichen auf die Insel. Am 18. März unterzeichneten Darmanin und Gilles Simeoni, Präsident des Exekutivrats Korsikas, eine Erklärung, in der die Ergebnisse der Beratungen festgehalten wurden: Der Staat verspricht darin, ab der ersten Aprilwoche mit den Mandatsträgern der Insel über eine Erweiterung ihrer Autonomie zu verhandeln. Ein Zugeständnis des Zentralstaats könnte z.B. sein, dass der Artikel 74 der Verfassung künftig auch für Korsika gilt. Dieser Artikel räumt französischen Überseegebieten wie Französisch-Polynesien mehr Freiheiten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und der Durchsetzung ihrer Interessen ein und ermöglicht es der Regionalregierung, eigene Gesetze zu erlassen, die nur für ihr Gebiet gelten. Außerdem könnte die korsische Sprache als zweite Amtssprache auf Korsika eingeführt und die Korsen als eigenes Volk anerkannt werden. Ein Ausscheiden Korsikas aus der Republik Frankreich schloss der Innenminister weiterhin aus, zugleich verwahrte er sich dagegen, dass nur diejenigen, die einen Wohnsitz auf der Insel haben, hier Immobilienbesitz erwerben dürfen. Für Alain Ferrandi und Pierre Alessandri, die ebenfalls wegen des Attentats auf Erignac in Gefängnissen in Zentralfrankreich einsitzen, wurde inzwischen außerdem eine Überstellung nach Korsika für Mitte April zugesagt, die Verlegung weiterer korsischer Strafgefangener, die von vielen Korsen als politische Häftlinge angesehen werden, auf ihre Heimatinsel wurde in Aussicht gestellt.
Diese Zugeständnisse der französischen Regierung an Korsika nur 23 Tage vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl wurden von den Kandidaten, die gegen Amtsinhaber Emmanuel Macron antreten, unterschiedlich bewertet. Die rechtspopulistischen Kandidaten Nicolas Dupont-Aignan (Debout la France), Marine Le Pen (Rassemblement National) und Éric Zemmour (Reconquête!) sprachen sich dagegen aus, der Insel mehr Eigenständigkeit zu verleihen. Le Pen bezeichnete es als katastrophales Signal, mit dem Versprechen von mehr Autonomie auf die Ausschreitungen zu reagieren, Zemmour erklärte, dass Frankreich wichtigere Probleme zu lösen habe und Korsika nur als Teil eines starken Frankreich stark sein könne, Dupont-Aignan bezichtigte den Präsidenten, die Zergliederung Frankreichs voranzutreiben.
Valérie Pécresse, Kandidatin von Les Républicains (LR), warf Macron vor, sich dem Druck der Straße zu beugen und forderte, dass die Ordnung auf Korsika wiederhergestellt sein müsse, bevor Verhandlungen aufgenommen werden könnten. Bei einem Besuch der Insel Anfang Februar hatte sie betont, dass sie für eine Ausweitung der Zuständigkeiten der Regionen eintrete, die Republik aber unteilbar sei und Korsisch nicht zu einer zweiten Amtssprache erklärt werden dürfe. Gleichzeitig sprach sie sich für die Pflege und den Erhalt der Regionalsprachen aus.
Anne Hidalgo, Kandidatin der Parti socialiste (PS), vertritt die Ansicht, dass man auf eine gesetzgeberische Autonomie der Insel hinarbeiten solle und dass es notwendig sei, Gebietskörperschaften mit Sonderstatus, wie Korsika eine sei, mehr Befugnisse zu geben; Yannick Jadot, Kandidat des Pôle écologiste, hat sich für eine rechtsverbindliche Autonomie Korsikas ausgesprochen. Jean-Luc Mélenchon, Kandidat der Bewegung La France insoumise (FI), ist dafür, dass, falls die dort Verantwortlichen es beantragen, der Artikel 74 der Verfassung auch für Korsika gelten soll. Philippe Poutou, Kandidat der Nouveau Parti anticapitaliste (NPA), bezeichnete die Revolte der korsischen Bevölkerung und insbesondere der korsischen Jugend als völlig legitim. Er trete für das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein und sei deshalb dafür, die korsische Sprache und Kultur anzuerkennen und dem korsischen Volk das Recht zuzugestehen, seine Kultur im Alltag auszuüben und sich so zu organisieren, wie es sich das wünscht. Fabien Roussel, Kandidat der Parti communiste français (PCF), sprach sich als einziger Vertreter des linken Spektrums gegen mehr Eigenständigkeit Korsikas aus. Es sei nicht die Autonomie, die den Kühlschrank der Korsen füllen uns das Problem der hohen Lebenshaltungskosten und des Verschwindens der öffentlichen Dienstleistungen lösen werde, so Roussel.
Parlamentswahlen - Kurzanalysen
6. Mai 2022: Das System zur Wahl der 577 Abgeordneten der Assemblée Nationale
Anders als in Deutschland, wo die Abgeordneten des Bundestags über eine Verhältniswahl bestimmt werden, die personalisierte Elemente enthält (Direktkandidaten in allen Wahlkreisen), werden in Frankreich die 577 Mitglieder der Assemblée Nationale (AN) in ihren Wahlkreisen in ein oder zwei Wahlgängen direkt gewählt. Dieses System der Direktwahl der Volksvertreter entspricht eher dem einer deutschen Bürgermeisterwahl und ist mit dem proportionellen System der Bundestagswahlen, das versucht, lokale und nationale Mehrheitsverhältnisse abzubilden, kaum vergleichbar.
Kandidaten für die Assemblée Nationale: Die Kandidaturen für ein Abgeordnetenmandat müssen zwischen dem 16. und 20. Mai 2022 in der Präfektur des Départements, in dem der jeweilige Bewerber antreten möchte, hinterlegt werden. Ein Bewerber muss nicht in dem Wahlkreis, in dem er kandidiert, wohnen. Wenn eine Partei einen Kandidaten an einem Ort aufstellt, zu dem er keinerlei Verbindung hat, spricht man von einem Parachutage (dt.: Fallschirmabwurf). Jean-Luc Mélenchon, der seinen Lebensmittelpunkt in Paris hat, ist z.B. 2017 als Kandidat der Bewegung la France Insoumise (FI) in einem Wahlkreis in Marseille gewählt worden, in dem er im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2017 39.1 % erreicht hatte und wo er sich deshalb gute Chancen ausrechnete.
Aufteilung der Wahlkreise: Von den 577 Wahlkreisen liegen 556 in den Départements, 10 in den Überseegebieten. 11 wurden für Gebiete außerhalb Frankreichs eingerichtet, um den im Ausland lebenden Franzosen die Möglichkeit zu geben, eigene Vertreter zu wählen. Die Wahlkreise sollen laut Gesetz möglichst die gleiche Einwohnerzahl haben; diese Forderung wird in der Praxis aber nicht eingehalten: Der Delegierte für die USA und Kanada vertritt z.B. ca. 160.000 Franzosen, der der Bewohner des zu Nordamerika gehörenden Überseegebiets St-Pierre-et-Miquelon nur knapp 6.000. Und auch im europäischen Frankreich gibt es große Unterschiede bei den Einwohnerzahlen: Der bevölkerungsreichste Wahlkreis im Département Loire-Atlantique hat fast 170.000 Einwohner, der bevölkerungsärmste im Département Cantal nur knapp 63.000.
Ablauf der Wahlen: Die Mitglieder der AN werden in zwei Wahlgängen bestimmt, die in diesem Jahr am 12. und 19. Juni stattfinden werden. Wenn ein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht, ist er gewählt und in dem betreffenden Wahlkreis entfällt der zweite Wahlgang. In den Wahlkreisen, in denen kein Bewerber über 50% der Stimmen bekommt, wird der Abgeordnete im zweiten Wahlgang gewählt. An diesem zweiten Wahlgang dürfen alle Kandidaten teilnehmen, die im ersten mindestens 12,5% der Stimmen aller eingetragenen Wähler erhalten haben. Falls nur ein Kandidat diesen Stimmanteil erreicht, darf auch der zweitplatzierte, der unter diesem Limit geblieben ist, ein zweites Mal antreten. Sollte kein Kandidat 12,5% erreichen, sind die beiden Erstplatzierten für den zweiten Wahlgang qualifiziert. Im zweiten Wahlgang genügt die einfache Mehrheit, um als Abgeordneter gewählt zu werden.
Auswirkungen und mögliche Reform des Wahlsystems: In den 577 Wahlkreisen finden separate Wahlkämpfe statt, bei denen neben den Fragen von nationalem Interesse auch lokale Gegebenheiten und die persönliche Ausstrahlung der Kandidaten eine große Rolle spielen. Da nur der Gewinner ein Mandat erhält, ist es möglich, dass Parteien, deren Kandidaten im Landesdurchschnitt einen hohen Stimmenanteil erreichen, nur mit wenigen oder gar keinen Abgeordneten in der AN vertreten sind. Dies trifft v.a. auf die extreme Linke und die extreme Rechte zu.
2017 erhielten die Kandidaten der linken Parteien FI und Parti Communiste Français (PCF), die im Präsidentschaftswahlkampf gemeinsam Jean-Luc Mélenchon unterstützt hatten, im ersten Wahlgang der Parlamentswahlen 11 % der Stimmen, aber nur 27 Mandate bzw. einen Sitzanteil von 4,7 %, die des rechtsextremen Front National (FN) 13,2 %; dennoch zog der FN letztlich nur mit acht Vertretern (1,4 %) ins Parlament ein. Die Kandidaten des Wahlbündnisses, das Präsident Emmanuel Macron um seine erst 2016 gegründete Partei La République en marche geschmiedet hatte, erreichten mit 32,3 % Stimmen eine relative Mehrheit, aus der sich im zweiten Wahlgang 351 Mandate bzw. eine Sitzanteil von 60 % in der Assembleée Nationale ergaben.
Besonders Wähler, die extreme Positionen unterstützen, haben das Gefühl, dass die Stimmabgabe für einen Kandidaten, der ihre Ideen vertritt, bei den Parlamentswahlen sinnlos ist und gehen deshalb nicht zur Wahl oder geben eine ungültige Stimme ab. So erreichte die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen 2017 einen historischen Tiefstand und lag im ersten Wahlgang bei 48,7 % und im zweiten nur noch bei 42,6 %.
Damit der tatsächliche Wählerwille in der Assemblée Nationale besser widergespiegelt wird, hatte Emmanuel Macron im Wahlkampf 2017 versprochen, das System zur Wahl der Abgeordneten um Elemente des Verhältniswahlrechts zu erweitern. Trotz verschiedener Initiativen dafür wurde dieses Vorhaben während seiner ersten Amtszeit nicht umgesetzt. Alle drei Kandidaten, die mehr als 20 % im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2022 erhalten haben, haben sich nun dafür ausgesprochen, das Wahlsystem bis zur nächsten Parlamentswahl in ein Verhältniswahlsystem umzuwandeln, dieses Vorhaben wird von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Wie dieses neue System konkret gestaltet sein wird, ist aber noch völlig unklar. Sicher ist, dass dazu langwierige, lagerübergreifende Diskussionen nötig sein werden.
12. Mai 2022: Nouvelle Union populaire écologique et sociale Die Aufteilung der politischen Linken bei den Wahlen zur Assemblée Nationale
Bei der Präsidentschaftswahl 2017 konnte sich kein Kandidat der Linken für den zweiten Wahlgang qualifizieren. Im Anschluss wurde deshalb von vielen politischen Akteuren des linken Lagers die Forderung erhoben, für die Wahlen 2022 ein gemeinsames Programm auszuarbeiten und einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen. Letztlich scheiterten alle Versuche dazu an der Unvereinbarkeit mancher Positionen, z.B. zur Rolle Frankreichs in der Europäischen Union, und an der mangelnden Bereitschaft der verschiedenen Parteien, zugunsten einer anderen auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten.
So traten 2022 im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl sechs Kandidaten an, die gemäßigt bis extrem linke Positionen vertraten und zusammen 32,1 % der gültigen Stimmen erhielten. Der mit Abstand erfolgreichste linke Kandidat war wie schon 2017 Jean-Luc Mélenchon, Kandidat der linkspopulistischen Bewegung Union Populaire, der mit 21,9 % mehr als doppelt so viele Stimmen bekam wie seine linken Konkurrenten zusammen.
Um durch eine linke Mehrheit in der Assemblée Nationale (AN) direkten Einfluss auf die Politik des wiedergewählten Präsidenten Emmanuel Macron nehmen zu können, rief Mélenchon am 24. April dazu auf, für die Parlamentswahl im Juni 2022 ein Bündnis aller linken Parteien zu schließen. Da die Parti socialiste (PS), die Parti communiste (PCF) und Europe Ecologie-Les Verts (EELV) fürchten mussten, alleine bei den Parlamentswahlen im Juni kaum Mandate erreichen zu können, schlossen sie sich nach mehrtägigen Verhandlungen mit Mélenchons Partei La France Insoumise (LFI) dem von LFI dominierten Wahlbündnis Nouvelle Union populaire écologique et sociale (NUPES) (dt.: die neue ökologische und soziale Volksunion) an.
Dabei wurde festgelegt, in wie vielen und welchen der 577 Wahlkreise eine Partei mit Unterstützung von NUPES Kandidaten aufstellen darf: LFI beansprucht mit Verweis auf die Ergebnisse der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen für sich 326 (56 %) und damit mehr als die Hälfte der 545 Wahlkreise, die unter die Vereinbarung fallen, überließ im Hinblick auf die breitere lokale Verankerung ihrer Bündnispartner aber 100 (17 %) EELV, 69 der PS (12 %) und 50 der PC (9 %). Die 32 Wahlkreise, die nicht unter diese Vereinbarung fallen, liegen in den Überseegebieten und -départements und auf Korsika. Hier ist jede Partei frei, einen Kandidaten aufzustellen.
Da nur der Gewinner eines Wahlkreises ein Mandat erhält, erscheint diese Koalition vor der Wahl sinnvoll, schränkt die Wahlmöglichkeiten der Wähler aber ein: So kann es z.B. geschehen, dass Wähler, die extrem linke Positionen befürworten, zur Unterstützung der NUPES in ihrem Wahlkreis einen gemäßigten Kandidaten der PS wählen müssen; oder aber ökologisch und proeuropäisch eingestellte Wähler in ihrem Wahlkreis einen europaskeptischen Kandidaten von LFI. Dies kann zur Folge haben, dass Wähler nicht zur Wahl gehen, ungültig wählen oder, um eine aus ihrer Sicht zu extreme Regierung zu verhindern, ihre Stimme einem Kandidaten des Wahlbündnisses Ensemble ! geben werden, der verspricht, Präsident Emmanuel Macron in der AN zu unterstützen.
Ein Gemeinsames Programm zu erarbeiten, war in der Kürze der Zeit nicht möglich, da sich die Positionen der vier Parteien in manchen Punkten stark unterscheiden. Deshalb haben sie vereinbart, dass ihre Abgeordneten in der AN voneinander unabhängige Gruppen bilden werden, und nur einige Grundpositionen festgelegt, die die NUPES-Kandidaten in ihrem Wahlkampf vertreten sollen: U.a. sind dies
- Die sofortige Anhebung des Mindestlohns von 1.269 € auf 1.400 € netto pro Monat
- Die Festlegung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre
- Die Festlegung von Maximalpreisen für Produkte des täglichen Bedarfs (angesichts der Inflation)
- Das Eintreten für den ökologischen Wandel und damit verbunden der Ausstieg aus der Atomenergie
- Das Gesetz zur Arbeit, Modernisierung des sozialen Dialogs und zur Absicherung des beruflichen Wegs, das 2016 zur Dynamisierung des Arbeitsmarkts von der damaligen sozialistischen Regierung unter Premierminister Manuel Valls eingeführt wurde, sofort außer Kraft zu setzen
- Eine neue Verfassung auszuarbeiten, die die Grundlage einer VI. Republik sein soll
Zum Umgang mit der EU wurde vereinbart, dass Regelungen, die z.B. verhindern, dass
- die Stromversorgung verstaatlicht wird
- Kantinen auf Biokost aus lokaler Produktion umstellen
- der ökologische Wandel vollzogen wird
nicht befolgt werden sollen. Die Bündnispartner sprechen die Hoffnung aus, dass sich weitere EU-Mitglieder diesem Vorgehen anschließen werden. Gleichzeitig wurde festgeschrieben, dass weder ein Austritt aus der EU, noch ihr Zerfall, noch das Ende ihrer gemeinsamen Währung ein Ziel französischer Politik sein kann.
Die künftige Rolle Frankreichs in der NATO wird in der Vereinbarung nicht erwähnt.
25. Mai 2022: Ensemble pour la majorité présidentielle Zusammenschluss der Zentrumsparteien um dem Präsidenten eine Mehrheit in der Assemblée Nationale zu sichern
Bei den Parlamentswahlen im Juni 2017 konnten die von Emmanuel Macron 2016 gegründete Partei La République en Marche (LREM) 308 und ihr liberaler Bündnispartner Mouvement démocrate (MoDem) 42 Mandate in der Assemblée Nationale (AN) gewinnen, gemeinsam entsprach dies einem Sitzanteil von 60 %. Im Laufe der Legislaturperiode haben sich über 40 Abgeordnete, die ursprünglich der Fraktion von LREM angehörten, anderen Fraktionen angeschlossen oder neue Gruppierungen gebildet, wodurch LREM seine absolute Mehrheit in der AN verlor.
Ende November 2021 wurde deshalb die Koalitionspartei Ensemble citoyens gegründet, die sieben politische Gruppierungen vereinigt. Zweck dieses Bündnisses ist es, die moderaten politischen Kräfte für die Parlamentswahlen im Juni 2022 zu bündeln, um Präsident Emmanuel Macron eine Mehrheit in der AN zu sichern, die das Erreichen gemeinsamer politischer Ziele ermöglicht. Neben LREM (zukünftig Renaissance) und dem MoDEM gehören ihr folgende Partner an:
- Horizons, eine im Oktober 2021 von Macrons ehemaligen Premierminister Édouard Philippe gegründete Mitte-rechts-Partei
- Agir, la droite constructive, ebenfalls eine Mitte-rechts-Partei, der v.a. ehemalige Mitglieder von Les Républicains angehören
- Territoires de progrès – Mouvement social-réformiste, eine sozialdemokratische Partei, der sich v.a. Politiker aus den Reihen der Parti Socialiste angeschlossen haben
- Die traditionsreiche linke Zentrumspartei Parti républicain, radical et radical-socialiste
- En commun, eine Partei mit ökologischem Schwerpunkt, die sich 2020 von LREM abgespalten hat
Nach dem Wahlsieg Emmanuel Macrons haben die Partner untereinander ausgehandelt, welcher in wie vielen und welchen der 577 Wahlkreise einen Kandidaten aufstellen darf, der das Bündnis repräsentiert und dafür von ihm ideelle und finanzielle Unterstützung erhält. MoDem hat dabei etwas mehr als 100 Wahlkreise zugesprochen bekommen, Horizons 56, die anderen Bündnispartner firmieren gemeinsam mit den Bewerbern von LREM als Kandidaten von Ensemble pour la majorité présidentielle.
Ihre unterschiedlichen Forderungen haben die verschiedenen beteiligten Parteien in kein gemeinsames Programm überführt, auf ihren Webseiten finden sich kaum Hinweise auf die Parlamentswahlen, nur die Partei Horizons hat hier Portraits ihrer 56 Kandidaten veröffentlicht. Auf der Website avecvous.fr, die als Plattform zur Unterstützung des Präsidentschaftswahlkampfs Emmanuel Macrons eingerichtet wurde, ist ein Pressedossiers verfügbar, dem man Namen, Alter und Beruf der Kandidaten entnehmen kann. Außerdem bietet es Basisinformationen wie die Geschlechterverteilung unter den 557 offiziellen Kandidaten (286 sind männlich, 271 weiblich), ihr Durchschnittsalter (49 Jahre) oder wie viele von ihnen bereits in der Wahlperiode 2017 – 2022 Mitglied der AN waren (276). 15 der Kandidaten gehören der neuen Regierung an, die am 20. Mai vorgestellt wurde, eine von ihnen ist die neue Premierministerin Élisabeth Borne. Alle Minister, die sich dieser Wahl stellen, erhalten durch sie eine zusätzliche Legitimation, gehen mit ihr aber auch ein Risiko ein. Denn falls ein Regierungsmitglied in seinem Wahlkreis nicht als Abgeordneter gewählt wird, muss es sein Regierungsamt aufgeben.
Als einziges verbindendes Element zwischen den Kandidaten erscheint bisher die Wertecharta, die auf der ansonsten inhaltsleeren Bündniswebsite ensemblecitoyens.fr veröffentlicht wurde. Darin bekennt sich das Bündnis
- zum Glauben an den wissenschaftlichen, technischen und intellektuellen Fortschritt
- zum Humanismus als gemeinsamer Philosophie
- zum grundsätzlichen Ziel der Emanzipation des Individuums
- zur Laizität als Garant des Pluralismus
Daraus werden als politische Ziele die Stärkung des französischen Bildungssystems zur Wahrung der Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und der Zugang zu Kultur für alle abgeleitet. Die Nation wird als Schicksalsgemeinschaft bezeichnet, die Europäische Union als Zivilisationsgemeinschaft, ohne die Frankreich schutzlos in globalen Konflikten wäre. Als Aufgaben für die Zukunft werden genannt:
- Die fortwährende Anpassung des französischen Gesellschaftsmodells an neue Herausforderungen
- Die Bewahrung des Klimas und der Biodiversität
- Der Aufbau von landwirtschaftlichen, industriellen und Dienstleistungskapazitäten im Inland, um die Unabhängigkeit und den Wohlstand des Landes zu sichern.
3. Juni 2022: Keine Allianz im Kampf um Mandate: Die Rechts- bis rechtsextremistischen Parteien vor den Parlamentswahlen
Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl haben Marine Le Pen, Kandidatin des rechtspopulistischen Rassemblement national (RN), Valérie Pécresse, Kandidatin der rechtskonservativen Les Républicains (LR) und Éric Zemmour, Kandidat der rechtsextremen Bewegung Reconquête !, zusammen 35 % der Stimmen erhalten. In aktuellen Umfragen zum Ausgang des ersten Wahlgangs der Parlamentswahl am 12. Juni liegen ihre Parteien bei einem landesweiten Stimmanteil von 37 %. Im Gegensatz zu den Parteien der Linken und der politischen Mitte haben sie aber keine Allianz geschlossen, um gemeinsam bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit in der Assemblée Nationale (AN) zu erreichen. Aufgrund der Regelung, dass nur die drittplatzierten Kandidaten am zweiten Wahlgang teilnehmen dürfen, die im ersten mindestens 12,5 % der Stimmen aller Wahlberechtigten erhalten haben, müssen sie befürchten, dass viele ihrer Kandidaten im ersten Wahlgang ausscheiden werden und der Anteil ihrer Abgeordneten in der AN deutlich unter ihrem Stimmanteil am 12. Juni liegen wird.
Die LR haben wie schon 2012 und 2017 ein Wahlbündnis mit der rechten Zentrumspartei Union des démocrates et indépendants (UDI) geschlossen, beide zusammen stellen in der AN zurzeit 120 Abgeordnete. Die Kandidaten der LR hoffen darauf, bei der Parlamentswahl von der breiten lokalen Verankerung ihrer Partei profitieren zu können, denn diese stellt weiterhin die meisten Bürgermeister Frankreichs und verfügt über die meisten Mandate auf regionaler und kommunaler Ebene. Viele ihrer Kandidaten distanzieren sich im Wahlkampf vom Programm von Valérie Pécresse, die im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl nur 4,8 % der Stimmen erhalten hat, und versuchen Themen von lokaler Bedeutung in den Vordergrund zu stellen, die sie in der AN für ihren Wahlkreis vertreten möchten. Laut einer am 3. Juni 2022 veröffentlichten Untersuchung kennen allerdings nur 40 % der Franzosen den Abgeordneten ihres Wahlkreises, 61 % der Befragten geben an, den Parlamentswahlkampf nicht oder nur kaum zu verfolgen. Beides deutet darauf hin, dass lokale Gegebenheiten und der Einsatz eines amtierenden Abgeordneten für seinen Wahlkreis sich nur in sehr geringem Maße auf die Wahlentscheidung der Wähler auswirken werden. Die LR- und UDI-Bewerber müssen außerdem befürchten, dass einige ihrer potentiellen Wähler schon im ersten Wahlgang den Kandidaten des Zusammenschlusses der Zentrumsparteien Ensemble pour la majorité présidentielle geben werden, um zu verhindern, dass das Wahlbündnis Nouvelle Union populaire écologique et sociale (NUPES) eine Mehrheit in der AN erhält.
Obwohl die RN-Kandidatin Marine Le Pen ihr Ergebnis im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl mit 41,5 % gegenüber 2017 deutlich steigern konnte, ist es ihr und ihrer Partei nicht gelungen, aufbauend auf diesen Erfolg eine dynamische Kampagne für den Parlamentswahlkampf zu entwickeln. Stattdessen äußerte Le Pen den im Hinblick auf ihr Wählerpotential bescheidenen Wunsch, die für die Bildung einer RN-Fraktion in der AN notwendigen15 Mandate zu erreichen. Das vom Linksbündnis NUPES formulierte Ziel, durch eine Mehrheit in der AN die Politik von Präsident Emmanuel Macron beeinflussen zu wollen, hat ihre Partei nicht übernommen. Inzwischen strebt der RN an, mit mindestens 60 Abgeordneten im neu gewählten Parlament vertreten zu sein, ihren Wahlkampf konzentriert die Partei auf die 83 Wahlkreise, in denen Le Pen im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl mehr als 55 % der Stimmen erhalten hat. Die Kandidaten des RN sind in ihren Wahlkreisen aber meist kaum bekannt und wenig profiliert, Marine Le Pen ist die einzige Persönlichkeit des RN, die bei Wahlkampfauftritten viele Menschen begeistern kann. Ihre Wähler, von denen 80 % bei der Parlamentswahl den RN-Kandidaten in ihrem Wahlkreis stimmen wollen, sind enttäuscht darüber, dass ihnen die Partei keine positiven Perspektiven aufzeigt, die aus einem Wahlsieg des RN resultieren könnten. Dies könnte, wie schon 2017, zu einer vergleichsweise niedrigen Mobilisierung der Le Pen-Wählerschaft bei den Parlamentswahlen führen. 42 % der RN-Sympathisanten sehen es als verpasste Chance an, dass die Partei nicht auf den Vorschlag Éric Zemmours eingegangen ist, sich bei der Aufstellung der Kandidaten mit Reconquête ! abzustimmen. Grund dafür könnte sein, dass der RN durch Kandidaturen in möglichst vielen Wahlkreisen einen möglichst hohen Betrag an öffentlicher Wahlkampfunterstützung erhalten möchte und zugleich verhindern will, dass sich eine zweite Partei am rechten Rand etabliert.
Neben dem RN haben auch LR eine Allianz mit der Bewegung Reconquête ! des Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour abgelehnt, weshalb diese nun in fast allen Wahlkreisen mit eigenen Kandidaten antritt, Zemmour selbst im vierten Wahlkreis des Départements Var. Da das Ergebnis Zemmours mit 7,1 % deutlich hinter den Erwartungen seiner Unterstützer zurückgeblieben ist, hat seine Bewegung viel von ihrer anfänglichen Dynamik eingebüßt, nur 64 % seiner Wähler wollen bei der Parlamentswahl für einen Kandidaten von Reconquête ! stimmen. Viele ihrer knapp 130.000 Mitglieder beklagen die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit durch die Zentrale in Paris und engagieren sich deshalb kaum im Wahlkampf. Ihren Kandidaten werden nur sehr geringe Chancen eingeräumt, ein Mandat in der AN zu erringen, vorrangiges Ziel von Reconquête ! könnte es sein, in mehr als 50 Départements mehr als 1 % der Stimmen zu erhalten, um 1,64 € pro Stimme als staatliche Unterstützungsleistung zu erhalten.
20. Juni 2022: Zusammensetzung der neu gewählten Assemblée Nationale
Am 19. Juni 2022 wurden im zweiten Wahlgang die noch nicht feststehenden Mandate für die 16. Legislaturperiode der Assemblée Nationale (AN) vergeben. Die Wahlbeteiligung lag dabei mit 46,23 % noch unter der des ersten Wahlgangs (47,51 %), aber über dem Tiefstand von 42,64 % des zweiten Wahlgangs der Parlamentswahlen 2017.
Das Parteienbündnis Ensemble pour la majorité présidentielle, bestehend aus La République en Marche (LREM) von Präsident Emmanuel Macron, dem Mouvement démocrate (MoDem), Horizons des früheren Premierministers Edouard Philippe und weiteren Partnern hat dabei deutlich sein Ziel verfehlt, gemeinsam eine absolute Mehrheit zu erreichen. Mit 246 von 577 Sitzen verfügt es im neu gewählten Parlament aber über eine relative Mehrheit. Elisabeth Borne, die erst am 16. Mai zur neuen Premierministerin ernannt wurde, hat ihren Wahlkreis im Département Calvados knapp gewonnen, kann also im Amt bleiben. Ob Präsident Emmanuel Macron als Reaktion auf das Wahlergebnis eine neue Premierministerin oder einen neuen Premierminister einsetzen wird, bleibt abzuwarten. Die Regierung muss von nun aber auf jeden Fall mit Oppositionsfraktionen zusammenarbeiten, um Gesetzesänderungen und Reformen durch die AN zu bringen, was ihre Arbeit sehr erschweren wird.
Kompromisse scheinen dabei v.a. mit der Fraktion möglich, die die 64 Abgeordneten der gemäßigt rechten Parteien Les Républicains (LR) und Union des démocrates et indépendants (UDI) gemeinsam bilden werden. Das von Ensemble-Vertretern vorgebrachte Ansinnen, die parlamentarische Zusammenarbeit über eine Art Koalitionsvertrag zu regeln, wurde von führenden LR-Vertretern allerdings zurückgewiesen, da sie befürchten, so als Teil des Regierungslagers wahrgenommen zu werden und weiter an politischer Sichtbarkeit einzubüßen (gegenüber 2017 hat die Fraktion 67 Mitglieder verloren).
Der Nouvelle Union populaire écologique et sociale (NUPES), zu der sich auf Initiative des linkspopulistischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon die Parti socialiste (PS), die Parti communiste (PCF), Europe Ecologie-Les Verts (EELV) und Mélenchons eigene Partei La France Insoumise (LFI) Anfang Mai zusammengeschlossen haben, ist es nicht gelungen, die angestrebte absolute Mehrheit in der AN zu erreichen. Mit 142 Abgeordneten könnte NUPES in der neuen Legislaturperiode aber die größte Oppositionsfraktion bilden. Ihr ursprüngliches Vorhaben, diese in vier Unterfraktionen entsprechend der vier Bündnispartner aufzuteilen, wird sie wegen der Unvereinbarkeit mit den bestehenden parlamentarischen Bestimmungen wohl nicht umsetzen können. Jean-Luc Mélenchon hat seinen Partnern deshalb vorgeschlagen in einer gemeinsamen parlamentarischen Gruppe zusammenzuarbeiten, was EELV, PS und PCF umgehend zurückgewiesen haben.
Die eigenen Erwartungen deutlich übertroffen hat der Rassemblement national (RN), dessen Kandidaten in 89 Wahlkreisen gewonnen haben. Damit erzielt der RN sein bestes Ergebnis bei einer Parlamentswahl seit der Parteigründung 1972 und kann erstmals seit 1986 eine eigene Fraktion bilden. Zu diesem Erfolg hat vermutlich auch beigetragen, dass weder das Regierungslager noch NUPES eindeutig dazu aufgerufen haben, im zweiten Wahlgang für den jeweiligen Gegner eines RN-Kandidaten zu stimmen. Die mit diesen Mandaten verbundenen öffentlichen Zuwendungen werden der Partei auch erlauben, ihre hohen Schulden, die sie u.a. für den Präsidentschaftswahlkampf 2022 aufgenommen hat, zurückzuzahlen.
Parteiübergreifend wurden 275 der Abgeordneten wiedergewählt, 302 Abgeordnete ziehen erstmals in die AN ein und damit 132 Neuparlamentarier weniger als 2017. Künftig werden 215 Frauen die Interessen des Volkes vertreten, ihr Anteil sinkt von bisher 38,8 % auf 37,3 %.
Zusammensetzung der neu gewählten Assemblée Nationale als PDF-Datei