Ludwigsburg
Vortrag im dfi

Gewalt gegen Frauen - gesellschaftliche Wahrnehmung und institutionelle Hilfe in Deutschland und Frankreich seit den 1970er Jahren

Am 21. September referierte Julia Spohr zu ihrem Promotionsprojekt mit dem Arbeitstitel „Gewalt gegen Frauen – gesellschaftliche Wahrnehmung und institutionelle Hilfe in Deutschland und Frank-reich seit den 1970er Jahren“. Julia Spohr ist seit Oktober 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel. 2020 war sie Stipendiatin des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg, 2020 und 2021 Stipendiatin des Deutschen Historischen Instituts Paris.

In den 1960er und 70er Jahre bildeten sich feministische Bewegungen, die sich zunächst in erster Linie für ein Recht auf Abtreibung und kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln einsetzten. Die öffentliche Thematisierung von Gewalt gegen Frauen war nicht selbstverständlich. Erst nach und nach wurde das Thema von einer breiteren Öffentlichkeit aufgegriffen und diskutiert.

Julia Spohrs Vortrag gliederte sich in zwei Teile: Zunächst erläuterte sie, wie das Thema Partnerschaftsgewalt gegen Frauen in den 1970er Jahren zu einem öffentlichen Thema wurde. Dabei legte sie den Fokus auf feministische Bewegungen, Politik und Medien. In Frauenzentren entstanden sogenannte Consciousness-Raising-Gruppen, die zentraler Ort für die Vernetzung und den Informationsaustausch innerhalb feministischer Bewegungen waren. Mitte der 1970er Jahre wurden die ersten Frauenhäuser in Deutschland und Frankreich gegründet. In beiden Ländern waren dafür Initiativen autonomer Frauenbewegungen ausschlaggebend, wobei erst ihr Zusammenwirken mit Politik und Öffentlichkeit eine Einrichtung von Hilfseinrichtungen ermöglichte, so Spohr.

In Deutschland wurde 1976 das erste Frauenhaus in West-Berlin eröffnet. Da Spenden für seine Finanzierung nicht ausreichten, war eine gewisse Institutionalisierung notwendig, die der Senat zunächst aber ablehnte. Dank der anhaltenden Öffentlichkeitsarbeit der Feministinnen und der Medien, die kontinuierlich darüber berichteten, blieb das Frauenhaus im Fokus der Öffentlichkeit, und so sah sich die West-Berliner Stadtregierung schließlich unter Druck, eine vorläufige Finanzierung der Einrichtung zu bewilligen. Die Kosten dafür teilten sich die Stadt West-Berlin und der Bund. In den folgenden Jahren wurden im gesamten Bundesgebiet weitere Frauenhäuser eröffnet. In Frankreich richtete die Organisation „SOS Femmes Alternative“ 1975 ein Hilfetelefon ein und eröffnete 1978, nachdem staatliche Subventionen zugesichert worden waren, das erste Frauenhaus.

Im zweiten Teil des Vortrags befasste sich Julia Spohr mit der Institutionalisierung der feministischen Bewegungen in den 1980er Jahren und thematisierte die Zeit nach der Eröffnung der ersten Frauenhäuser. Politiker*innen hatten inzwischen die Forderungen der Feminist*innen aufgenommen, jedoch nicht vollständig übernommen. Vielmehr passten sie die feministischen Themen ihrem Deutungsrahmen an. Im Gegensatz zu den Feminist*innen führten sie Gewalt gegen Frauen nicht grundsätzlich auf das Patriarchat zurück. Anhand einer Fallstudie zeigte Julia Spohr auf, dass im deutsch-französischen Vergleich der Wert der Familie in der westdeutschen Debatte über Gewalt gegen Frauen eine wesentlich wichtigere Rolle spielte als in Frankreich.

In Westdeutschland war man mit Eingriffen in die Familie und damit in die private Sphäre sehr zögerlich, was sich auch in der Debatte um die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und der Bereitschaft der Regierung, feministische Projekte zu finanzieren, zeigte. Ein Ziel der nicht autonomen Frauenhäuser, die häufig von kirchlichen Trägern finanziert wurden, war, durch Zusammenarbeit mit den Ehemännern Familien wieder zusammenzuführen. Dies führte zu Kritik vonseiten der feministischen Bewegungen. In Westdeutschland war die Konfliktlinie Autonomie vs. Institutionalisierung daher deutlich ausgeprägter als in Frankreich.

In beiden Ländern war und ist die Finanzierung von Frauenhäusern nicht ausreichend gesichert. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde daher auch ein Bogen zur Gegenwart geschlagen, um aktuelle Herausforderungen in einem historischen Kontext zu betrachten und einzuordnen.

Interessiertes Publikum bei Vortrag und Diskussion
Interessiertes Publikum bei Vortrag und Diskussion
Julia Spohr sichtet Material in der Frankreich-Bibliothek
Julia Spohr sichtet Material in der Frankreich-Bibliothek
Julia Spohr auf der Terrasse des dfi
Julia Spohr auf der Terrasse des dfi
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