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Ludwigsburg
In Kooperation mit Europe Direct Stuttgart und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Ludwigsburg

„Die Mehrheitslage ist herausfordernd“

Podiumsdiskussion mit René Repasi, Stefan Schubert und Stefan Seidendorf im dfi

Am 23. Oktober 2025 haben Prof. Dr. René Repasi, MdEP, Dr. Stefan Schubert, Leiter des Europa-Zentrums Baden-Württemberg, und Dr. Stefan Seidendorf, Stellvertretender Direktor des dfi und z. Zt. sein Geschäftsführer, über die Situation im Europaparlament, aktuelle Herausforderungen für die Europäische Union und den häufig beschworenen Neustart des Deutsch-Französischen Motors diskutiert. Gemeinsam organisiert haben die Veranstaltung das dfi, Europe Direct Stuttgart und die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Außenstelle Ludwigsburg.

Zum Einstieg erläuterte René Repasi am Beispiel des Scheiterns des umstrittenen Kompromisses zur Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes im EU-Parlament die seit der Europawahl 2024 schwierige Mehrheitsfindung auf europäischer Ebene. 

Bis zum Ende der Legislaturperiode 2019 - 2024 sei es für die konservativen Parteien dort nicht möglich gewesen, gemeinsam mit den europaskeptischen oder nationalistischen Fraktionen eine Mehrheit zu organisieren. Seit 2024 erlaubten die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament dies aber. Und bedauernswerterweise, so Repasi, gäbe die EVP-Fraktion immer öfter der Versuchung nach, die Zustimmung der progressiven und gemäßigt linken Fraktionen im Parlament mit der Drohung zu erpressen, sonst einen anderen Entwurf, der noch weniger in ihrem Sinne wäre, mit den Stimmen der Europaskeptiker und Nationalisten, u.a. der AfD, durchzusetzen.

Stefan Seidendorf wies in diesem Zusammenhang auf die aktuelle Situation in Frankreich hin: Dort stünden sich ebenfalls drei Blöcke – die Linke, das Zentrum, die Rechte – unversöhnlich gegenüber, sie seien nicht in der Lage Kompromisse zu schließen. Die Bürger würden auf den damit verbundenen Reformstau mit Politikverdrossenheit und der Wahl populistischer Kräfte reagieren.

Das Erscheinen antiparlamentarischer Tendenzen in Zeiten unklarer Mehrheitsverhältnisse begleite Demokratien schon lange, das habe man bereits in der Weimarer Republik beobachten können, warf Stefan Schubert dazu ein. Meist sei damit der Ruf nach einem „Macher“ verbunden, der für klare Verhältnisse sorgen solle. Aus diesem Wunsch nach einem starken Mann lasse sich seiner Meinung nach auch die Wahl vom Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten im Jahr 2017 erklären.

Als billig bezeichnete er das derzeit weitverbreitete „Bürokratiebashing“. Bürokratie sorge für geregelte Verhältnisse und sei kein Selbstzweck. Alle müssten anerkennen, dass eine Welt, die immer komplexer werde, einen größeren Regelungsbedarf habe als ein Kleinstaat. Es sei dringend geboten, dass Politiker echte Probleme klar benennen und angehen, anstatt vermeintliche Probleme in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, so Schubert.

Die Frage, ob deutsche Automobilhersteller demnächst wegen fehlender Teile aus China die Produktion einstellen müssten, leitete zu dem Thema der europäischen Unabhängigkeit über. Im Hinblick auf ein China, das seine Handelspolitik grundsätzlich auch als Mittel zur Durchsetzung seiner geopolitischen Interessen sehe, und einer USA, die sich derzeit als ein „Freund“ erweisen würden, der die europäischen Schwächen gnadenlos ausnutzt, müssten die Europäer endlich ihr Primat „Geiz ist geil“ aufgeben, erklärte René Repasi. Corona habe gezeigt, dass es nicht funktioniere, wenn man sich allein an der Frage ausrichten würde, wie man am billigsten produzieren könne. Vielmehr müsse man dringend innereuropäische Lieferketten aufbauen, die gegenüber extraeuropäischen Einflüssen resistent seien. Stefan Schubert pflichtete dem bei und erklärte den Binnenmarkt „zu einem Pfund, das die EU aktuell nicht nutzt“.

Zur Frage des „Neustarts des deutsch-französischen Motors“ vertrat René Repasi die Ansicht, dass dieser nicht mehr wirklich laufe, seitdem Helmut Kohl 1998 das Bundeskanzleramt verlassen habe. Keiner seiner Nachfolger habe über die notwendige interkulturelle Kompetenz verfügt und den politischen Willen dazu aufgebracht, ihn weiter auf vollen Touren laufen zu lassen. Stefan Schubert teilte die Ansicht, dass Kohl der letzte wirklich proeuropäische Bundeskanzler gewesen sei. Präsident Emmanuel Macron hingegen habe sich in seiner gesamten bisherigen Amtszeit als Verfechter der europäischen Idee erwiesen und solange er im Amt sei, waren sich alle Diskutanten einig, werde der Motor zumindest im Bremsmodus weiterlaufen.

 

Eine Veranstaltung in Kooperation mit EUROPE DIRECT Stuttgart und der Landeszentrale für politische Bildung Ludwigsburg

Stefan Schubert erklärt das Erscheinen antiparlamentarischer Tendenzen
Stefan Schubert erklärt das Erscheinen antiparlamentarischer Tendenzen
Stefan Schubert, Stefan Seidendorf und René Repasi diskutieren über den deutsch-französischen Motor
Stefan Schubert, Stefan Seidendorf und René Repasi diskutieren über den deutsch-französischen Motor
Stefan Seidendorf (Mitte) führt in die Diskussion mit René Repasi (rechts) und Stefan Schubert (links) ein
Stefan Seidendorf (Mitte) führt in die Diskussion mit René Repasi (rechts) und Stefan Schubert (links) ein
René Repasi erklärt die aktuelle Situation im EU-Parlament
René Repasi erklärt die aktuelle Situation im EU-Parlament
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